Mittwoch, 24. August 2005
Adieu
Es war wieder ein Anruf, der die Nachricht brachte. Diesmal aber die Endgültige; die, mit der wir eigentlich nicht mehr rechneten. Er hat es nicht geschafft…
sagte seine Stimme leise in die Verzerrungen des schlechten Empfangs. Und da das Leben anscheinend doch einem kitschigen Film mehr gleicht als mir lieb ist, fing es genau in diesem Moment an zu regnen.
Unerwartet war sie da, die Trauer. Trauer über den Tod eines Menschen, den ich eigentlich mehr verachtet als geachtet habe. Dem ich nie näher gekommen wäre, hätten uns keine Familienbande zusammengeführt. Der einem mir sehr nahe stehenden Menschen großen Schaden zugefügt hat. Trotzdem ist sie da, die Trauer, ein tiefes Stechen, das beißende Gefühl von Verlust.
Die letzten 3 Monate lag er auf der Intensivstation, die erste Zeit im künstlichen Koma. Brachte etliche OPs hinter sich, wurde nach langer Zeit aus dem künstlichen Koma zurück ins Leben geholt, überlebte weitere OPs, kämpfte – die Ärzte bezeichneten sein Überleben schon als kleines Wunder. Ich habe mir und Anderen immer gesagt Hey, das wird schon.
. Und es ging bergauf, zwar sehr langsam, aber deutlich bergauf. Bis zu dem schweren Rückfall Ende letzter Woche. Und gestern: Er hat es nicht geschafft…
.
3 Monate Intensivstation. Ich habe ihn kein einziges Mal besucht.
Ich bereue das so. Anstatt meinen Frieden mit ihm zu machen, entfloh ich dem Anblick eines an Bett und Schläuche gefesselten Mannes; baute darauf, ihn auf Station besuchen zu können, klammerte mich an meinen Optimismus. Der Zwiespalt, den ich mit ihm hatte, ist jetzt kilometerbreit. Ich werde nie wieder die Chance bekommen, eine Brücke zu bauen.
Dies ist wieder einer dieser Momente, in dem ich gerne einen Glauben hätte, in den ich mich flüchten könnte. Der mir Gewissheit über den Verbleib der Seele, Gewissheit über das „Danach”, Gewissheit über Vergebung gibt. Der mir dieses merkwürdige Schuldgefühl von den Schultern nimmt und mir sagt, dass meine in Richtung Himmel gerichteten Gruß- und Abschiedsworte angekommen sind.
Adieu, ein letztes „My Way” für dich. Ich hoffe du hast deinen Frieden gefunden.
Ich lebe seit Jahren im Streit mit einem Verwandten, der immer kranker wird.
Und ich habe jeden Tag Angst vor dem Moment, an dem ich nicht mehr auf ihn zugehen kann.
Aber ich weiss jeden Tag, dass ich es nicht kann.
Grauenhaft.
Ich wuensch Dir alles gute.
Ich glaube, man kann es nicht richtig machen.
Manchmal gibt es Hürden, die nicht zu überwinden sind, sei es die eigene Hürde oder die des Anderen - da kann der Wille noch so gut sein.
Auch dir wünsche ich alles Gute und danke dir für deine Worte.
Ich bin zur Zeit nicht sonderlich gläubig, trotz/wegen Theologiestudium. Aber formuliere doch (falls nicht schon geschehen) Deine Gedanken, alles was Du ihm sagen wolltest mal für Dich (also nicht im Blog). Und tu vielleicht irgendwas symbolhaftes, verbrenn den Zettel, oder vergrab ihn oder sonstwas. Tu irgendwas, an das Du Dich erinnern kannst. Es könnte helfen. (Und mit Magie hat es nix zu tun.)
Vergiß dabei nicht, dass Du DEINEN Frieden finden mußt. Das schließt ein, dass Du notfalls alle Tipps (inkl. meinen) negieren kannst.
Buchtipp: "Die Fünf Menschen, die Dir im Himmel begenen" von Mitch Albom. Ich hab geheult, aber danach gings mir besser.
Ganz liebe Grüße
Tobias
Am Montag ist die Beerdigung, mir graut es ein wenig davor. Die letzte Beerdigung, die ich miterleben musste, ist bereits 14 Jahre her und ich war damals noch im prächtigsten Grundschulalter. Und sie fühlte sich so falsch an - mein Opa wurde schlagartig von so vielen Menschen betrauert, was nur geheuchelt sein konnte, hatte sich doch kaum jemand für ihn interessiert, als er nach einem Schlaganfall jahrelang ans Bett gefesselt war und kaum ein Wort sprechen konnte.
Jetzt weiß ich, dass diese Trauer nicht unbedingt geheuchelt gewesen sein muss, denn auch ich bin vor dem Anblick eines Schwerkranken geflohen und weine doch viele ehrliche Tränen, und die nicht um meines Missverhaltens willen.
Je länger ich mich aber mit dem Tod beschäftige, desto mehr habe ich das Gefühl, dass der Umgang mit ihm in unseren Breitengraden ein unnatürlicher, aufgezwungener ist.
Deinen Buchtipp werde ich mir anschauen, ebenso das tibetanische Buch vom Leben und Sterben, dass mir ebenfalls empfohlen wurde. Dankeschön für deine Tipps und ebenfalls liebe Grüße!
Irgendwie glaubt diese christliche Basis in mir an etwas, was nach dem Tod stattfinden wird. Und ich glaube auch daran, dass man eben in diesem, was dort stattfindet, nicht alleine ist, sondern eben alle die wiedertrifft, die vor einem und nach einem den gleichen Weg gingen. Es gibt keinen Grund zu wirklicher Traurigkeit - wenn du ihm irgendwann mal folgen wirst, hast du "alle Zeit der Welt", deinen Frieden mit ihm zu schließen... es klappt nur nicht im Moment auf dem Weg, wie du dir das vorstellst.
Deine Gespräche jetzt mit ihm könnte man schon als Form des Gebetes gelten lassen - auch wenn das eine "One-Way-Communication" für dich momentan ist... ich bin mir sicher, wenn die Gelegenheit für dich irgendwann einmal kommen wird, wird er dir alles verziehen haben, denn ich bin überzeugt: wenn wir es mal geschafft haben, dann lachen wir über all die irdischen Probleme und Zwiespältigkeiten, die es gab.
Vor meinem eignen Tod ist mir nicht bang,
Nur vor dem Tod derer, die mir nah sind.
Wie soll ich leben, wenn sie nicht mehr da sind ?
Allein im Nebel tast ich todentlang
Und laß mich willig in das Dunkel treiben.
Das Gehen schmerzt nicht halb so wie das Bleiben.
Der weiß es wohl, dem gleiches widerfuhr;
- Und die es trugen, mögen mir vergeben.
Bedenkt: den eignen Tod, den stirbt man nur,
Doch mit dem Tod der andern muß man leben.
Mascha Kaléko
Dieser Eintrag ist recht alt, ich habe ihn wegen eines fehlerhaften Links noch einmal editiert.
Kim:
Wenn es so wäre, wäre es sehr schön. Wie gesagt, ich wünschte, dass ich daran glauben könnte. Ich hoffe es aber sehr, dass es so ist. Das alleine hilft (half) auch sehr.
hinterlektuelles:
Das sind ganz wunderbare Worte. So wahre Worte.
Hab Dank.
Jetzt also die Angst um meine Oma. Irgendwie kommt es mir falsch vor, mich auf das, woran ich nicht denken mag, vorzubereiten.