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Dienstag, 21. November 2006

Ach so! Der Amokläufer hat Counterstrike gespielt!

Bereits gestern hörte ich es im Unterton des Nachrichtensprechers. Heute ist es schon ganz klar kommuniziertes Thema: „Der Amokläufer von Emsdetten hat Counterstrike gespielt! Wir müssen Ego-Shooter bekämpfen!“

Natürlich ist es nicht nur einfach, sondern leicht, ein Computerspiel für den Amoklauf eines Jugendlichen verantwortlich zu machen. Es ist nicht nur einfach, nicht nur leicht, sondern auch unglaublich bequem. Wesentlich unbequemer als das Hinterfragen von Eltern, Verwandten, Freunden, Mitschülern, Lehrern, Behörden, Medien im Allgemeinen oder – einmal den ganz großen Bogen – der Gesellschaft, in der Jugendliche heute aufwachsen müssen.
Nur nebenbei werden die im Ansatz richtigen Fragen gestellt: Wie kam es dazu, dass der junge Mann vereinsamte und verrohte? Warum hat sich niemand verantwortlich gefühlt, auf den stillen Jungen zuzugehen und auf lange Sicht zu versuchen, das Schweigen zu brechen, zu erfahren, was in seinem Kopf vorgeht? Warum wurde sein Hilferuf im Internet, in dem er sein Vorhaben ganz klar thematisierte, nicht ernst genug genommen? Wie kann es sein, dass sich der Junge wegen illegalen Waffenbesitzes vor Gericht verantworten sollte und trotzdem noch über scharfe Waffen und Munition verfügt?
Mir geht es hier nicht um Schuldzuweisungen. Es geht mir um die vielfachen Gründe für so eine Tat, die weiter, wesentlich weiter gehen als ein dumpf suggeriertes „Counterstrike ist schuld“.

Ein im Grunde seelisch gefestigtes Kind kommt nicht aufgrund eines PC-Spieles auf die Idee, echte Menschen zu töten. Es gewinnt auch die Energie zur Durchführung einer solchen Tat nicht aus virtuellen Szenarien.
Ich habe bereits etliche junge Menschen, die Ego-Shooter spielen, kennen gelernt – da war kein einziger dabei, der aufgrund des Spiels keines sozialen Kontaktes mehr fähig war und in Hassgefühlswelten lebte. Counterstrike ist im Fall des Emsdettener Amoklaufes höchstens ein Symptom des Krankheitsbildes.

Dies zu ignorieren und sich auf ein Spiel zu versteifen ist gefährlich und schmeckt für mich nach Verblendung und bewusster Vermeidungshaltung. Ich käme ja fast auf die Idee, dass der Eine oder Andere, der jetzt laut „Verbot! Verbot!“ schreit, geradezu glücklich ist, dass der in meinen Augen bemitleidenswerte junge Mann dem Klischee entsprach, am PC menschlich geformte Bits und Bytes tötete und somit einen bequem zu kommunizierenden Ansatz lieferte, dass man umgehend zur Tat schreitet, um solche Amokläufe zukünftig zu vermeiden. Weil die einzig sinnvolle Alternative doch viel zu weitgreifend wäre.
Es ist ja sowasvon zum kotzen.

Nachtrag: In Marcels Parteibuch kann man den Abschiedsbrief von Bastian B. lesen. Und bei Gulli so einiges über die unfassbar gründliche Zensur, die zur Zeit durchgeführt wird, um seine Spuren zu tilgen. (via Christian)

fremdgeschämt um 15:33 | 15 Kommentare | 2 Trackbacks
< Doppelpunktklammerzu | #8 >
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Tötet Killerspieler! Sofort!

An dieser Stelle hätten sie einen großen Rant darüber gelesen, wie genervt ich über die einseitige Berichtserstattung des Amokläufers von Emstedten ich bin. Keine Stunde nach den ersten Nachrichten darüber habe ich Emba nur zugenickt "Na, da gibts bald wi

Weblog: superBlog
Aufgenommen: Mittwoch, 22. November 2006
Statistik für Politiker: Eine Einführung

Eigentlich hatte ich vor, mich aus der Wiederkäuerdiskussion über Amokläufer und Killerspiele dieses Mal herauszuhalten. Die Politiker sind sich ja immer so schnell einig, dass da etwas getan werden muss. Amoklauf in Emsdetten? Verbot von Counterstrike un

Weblog: Channel Hopping
Aufgenommen: Donnerstag, 23. November 2006
Kommentare
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Ja, nach solchen schrecklichen Ereignissen wird immer ganz schnell ein Schuldiger gesucht und gefunden (die Ego-Shooter, der Islam ...). Komplexere Hintergründe zu finden, sich womöglich selbst an die Nase fassen zu müssen, ist viel lästiger.

Über Ego-Shooter habe ich oft mit meinem Sohn gesprochen. Mittlerweile sehe ich seinen PC- und auch Counterstrike-Konsum viel gelassener als noch vor einigen Jahren. Denn ich weiß genau, dass weder er noch seine Freunde gewalttätig oder voller Hass oder sonstwie abartig sind. Ich selbst lese und gucke gerne Krimis, umbringen will ich deshalb niemand.

Zum Ausbruch von Gewalt gehört immer noch einiges mehr, das Fehlen von Alternativen vor allem. Wie verzeifelt muss ein Mensch sein, der Amok läuft und sich selbst zerstört.
#1 Ines (Link) am 21.11.2006 16:55
Ich habe heute morgen einen Beitrag bzw. ein Interview auf WDR 2 gehört. Da hat der Moderator das Thema im Teaser kurz erwähnt ("Schule nachgebaut"), dann aber nur die sozialen Versäumnisse von Lehrern, Eltern, Freunden und Schule im Allgemeinen mit einem Gesprächspartner diskutiert. Ich war beeindruckt. Es geht also auch anders.
#2 hinterlektuelles (Link) am 21.11.2006 17:02
Ja!²
Heute morgen im ZDF bspw. konnte die Talkmast.. äh, "Nachrichtensprecherin" im Gespräch mit einer Sozialpädagogin kaum eine Frage stellen, die nicht auf eine Killerspiele-tragen-die-Schuld-Antwort zielte. Immerhin hat besagte Pädagogin den Troll nicht auch noch gefüttert, sondern versuchsweise über mögliche wirkliche Ursachen gesprochen.

Ich hoffe ja noch immer auf das Gewitter.
#3 smiley (Link) am 21.11.2006 17:35
Du hast Recht, dieser politische Aktionismus ist wirklich zum Kotzen.

Auf tagesschau.de prangt ganz oben die entbrannte Diskussion zum "Verbot von Killerspielen", während man sich in einer Fußnote fragt, wie der Schüler an scharfe Waffen kam. Auch, wenn die für den Hausgebrauch bereits verboten sind, die Priorisierung ist schon arg pervers.


Viele schöne Kommentare zu dieser Diskussion gibt es übrigens im Heise-Forum, und mein favourite today:

Verbietet Schach! http://tinyurl.com/yblrdv
(mmh kein BBCode hier)
#4 Andy (Link) am 21.11.2006 18:32
Mir fielen heute zwei Sätze in meinem FAZ-Newsletter positiv auf: "Computerspiele allein reichen nicht aus, um aus einem aufgeweckten Kind eine tickende Zeitbombe zu machen. Hinzu kommt die Erfahrung, ein ewiger Verlierer zu sein."

Das dürfte der eigentliche Angelpunkt sein. Ich frag mich nur, wie man da effektiv angeln will. Ich würde durchaus behaupten dass Ego-Shooter, wenn sie mit weiteren 'Indizien' zusammentreffen, ein Symptom sein *können* - aber das Symptom zu entfernen heißt nur nachher noch überraschter zu sein, dass alles aus heiterem Himmel zu kommen scheint.

Es gibt die großartige Idee der Kriminalprävention - aber auch dort scheint man mit der überbordenden Menge an Problemen kaum anchzukommen.

Wir brauchen wahrscheinlich eine andere Gesellschaft. Aber wie macht man sich eine solche? - Zumindest nicht, indem man mit verkürzter Wahrnehmung argumentiert. Nicht das als "Böse" wahrgenommene verbieten (und dadurch interessanter machen) - positive Alternativen.

Und das heißt nicht Janosch-PC-Spiele ("Fang die Tigerente") verpflichtend machen, sondern (in den menschenmöglichen Grenzen, die nun mal da sind) die selbstwahrgenommenen Verlierer 1.) als solche verstehen und ernstnehmen (nicht harmonisieren) 2.) voll und ganz unterstützen und 3.) neue Perspektiven entwickeln - MIT ihnen, nicht nur FÜR sie... und vor allem: Ganz ganz früh endlich wieder anfangen die klassischen Werte zu vermitteln. Denn stark und mächtig sein ist sicherlich wichtig. Aber nicht nur.

Wort zum Sonntag? - Wie auch immer - Danke sero für Worte, von denen Du wahrscheinlich weißt, wie sehr sie mir aus der Seele sprechen...
#5 Tobias K. (Link) am 21.11.2006 19:54
In dem moment als ich von dem Amoklauf gehört habe, habe ich nur auf diese Diskussion gewartet. Tolle ideen von Wulff, Stoiber und co. genau diese Jugendlichen durch ein Verbot noch zu kriminalisieren. Hat man wenig zugang zu ihnen gehabt wird das durch so ein Verbot bestimmt nicht besser. Zocke ich doch hin und wieder auch nach einem nervigen uni tage ein paar runden cs. Kann ich ja nur froh sein das ich wahrscheinlich in einem Jahr um diese Zeit schon in Holland lebe ;)
#6 Kuchen am 22.11.2006 11:04
Nachtrag: Webseiten und Foreneinträge des Amokläufers werden zensiert ...
http://tinyurl.com/yeuscj

Ich habe seinen vollständigen Abschiedsbrief und sein Blog gelesen, seinen Hilferuf in einem Beratungsforum .. - noch geht es auch ausserhalb von Freenet-Mirrors...

Erinnert mich an die (gescheiterten) Versuche zum Verbot der NPD: statt das Übel an der Wurzel zu packen bekämpft man lieber Symptome.
#7 Andy (Link) am 22.11.2006 13:32
Ach so! Eigentlich hatte ich ja schon nicht mehr dran geglaubt, aber es gibt ja doch noch ein paar wenige Personen auf dieser Welt, die meiner Meinung sind.

Danke, Serotonic, danke!
#8 buenni (Link) am 22.11.2006 15:35
Ines:
Wie verzweifelt er war, konnte man gut in seinem Abschiedsbrief lesen. Mir hat es das Herz abgeschnürt.

hinterlektuelles:
Schade, dass ich diese Perle nicht habe erleben dürfen. Je mehr journalistisch Aufbereitetes ich sehe, desto schlechter wird mir. Aber es tröstet natürlich ein wenig, dass es sie gibt, diese Perlen.

Smiley:
Ich frage mich nur, was alles noch passieren muss und wird, bis es zumindest einmal anfängt zu regnen.

Andy:
Danke für den Link. Die Schach-Idee war mir neu. Dass Brot verboten werden sollte, war ja schon beim Amoklauf 2003 ein wunderbares Beispiel. Aber beide Beispiele sind augenscheinlich sicher zu ironisch, um wirklich ernst genommen werden zu können …

Tobias:
Nun, ich denke, dass selbst das, was du vorschlägst, nicht weitgreifend genug wäre, da es nur die Bruchstelle kittet. Natürlich kann ich keinen besseren Ansatz bieten. Das Thema ist viel zu komplex für meine 1400m³ …

Kuchen:
So gings mir auch. Manchmal finde ich es doch nicht ganz so prima, Recht zu behalten. (Holland? Ernst?)

Andy:
Habe ich heute auch ebenfalls alles gelesen. Ich bin ganz tief betroffen. Auch wenn ich die Tat verurteile, gelingt mir das nicht bei dem Menschen, der sie verübt hat.

Bünni (und auch Tobias):
Es war mir ein auf der Seele lastendes Bedürfnis.

####

Introspektion:

Ich wühlte gerade erinnerungsmotiviert in meinen Archiven und fand einen Forenbeitrag, den ich auf den Amoklauf 2003 hin schrieb. Dass da wirklich nur 3 1/2 Jahre zwischen liegen wollen, erschlägt mich.

Damals schrieb ich Sätze wie „Selbst ein schlechtes Elternhaus und sozial schwache Umgebung sind für mich absolut kein Argument.“ oder „Bei dem Typ muss doch grundsätzlich etwas nicht gestimmt haben.“ oder „Auch Abstumpfung durch die Medien halte ich für eine schwache Begründung.“

Wie klein doch der Horizont war, den ich damals überschaute … Die Erinnerung hilft mir aber, ähnliche Kommentare zu Bastian S. zu respektieren.
#9 serotonic (Link) am 22.11.2006 18:28
"Computerspiele allein reichen nicht aus, um aus einem aufgeweckten Kind eine tickende Zeitbombe zu machen. Hinzu kommt die Erfahrung, ein ewiger Verlierer zu sein."

Ja, schöne Erkenntnis. Nur trotzdem völlig daneben: Das kommt nämlich nicht "hinzu" sondern das "reicht aus". Und ob da Computerspiele im Zimmer rumliegen oder angenagte Marmeladebrote ist dabei völlig wurscht. Sprache kann schon verräterisch sein...
#10 Sven (Link) am 23.11.2006 00:48
Es gab Zeiten, da liefen die Eltern Sturm gegen "Schweinchen Dick", weil das die Kinder verrohen sollte.

Trotz Tom & Jerry kenn ich niemanden, der seine Hauskatze zerstückelt hat.

Wir spielten Cowboy & Indianer, Räuber & Gendarm mit Erbsenpistolen, Stöcken und Pfeil und Bogen. Wir haben uns auch mal auf dem Schulhof geprügelt und keiner hat den Schulpsychologen gerufen und uns zum Außenseiter gestempelt.

Später spielten wir Schloss Stolzenfels und Doom bis zum Exzess.

Wie überaus praktisch, Blindheit, Erziehungsfehler, Ignoranz und einfach Kaltherzigkeit der Umwelt auf die Spiele zu schieben, die sich inhaltlich niemals ändern, sondern nur moderner werden.

*Peng, Du bist tot" gab es zu allen Zeiten.
#11 Jagolina (Link) am 24.11.2006 09:25
Tja, aber eines finde ich schon auffallend: Daß, sobald Kritik an ultrabrutalen Computerspielen aufkommt, das gesamte Internet, ob schlau oder doof, sich blitzartig zu einer geschlossenen Meinungsfront formiert.
Plötzlich hat selbst der 15jährige Heise-Proll die allgemeinen Mißstände der Gesellschaft im Blick, und alle stimmen zu; auf daß nur ja nicht die Überlegung aufkommt, ob es nicht wirklich etwas krank sein könnte, daß man die Darstellung der sadistischsten Perversionen toleriert und konsumiert, bloß weil es Pixel und keine Schauspieler sind. Angesichts der heutigen Computergrafik hat die Vorstellungskraft nicht mehr viel zu tun, und ich bin überzeugt, daß sensiblere oder schlichtere Gemüter zusätzlich verrohen, wenn sie bergeweise Eingeweide aus irgendwelchen Lebewesen reißen.
Die Brutalität ist darüber hinaus in solchen Spielen reiner Selbstzweck ohne irgendeine künstlerische Aussage; sie appelliert an niederste menschliche Triebe, um mal drastisch zu werden.

In der Süddeutschen gab es neulich einen guten Kommentar zum Thema, der die vielgehörte Ausrede aufgriff, es gehe ja gar nicht um das Gemetzel, sondern um den sportlichen Wettkampf: "Es geht nicht um das Blutbad? Prima, wenn das so ist, lassen wir es doch weg, es wird ja dann niemand etwas dagegen haben!" (sinngemäß)
{ Insert betretenes Schweigen von Zockerseite }

Nur mal so als Anregung von außen (ich bin zwar mit 27 kein alter Sack, aber mit Egoshootern und generell gewalttätigen Spielen konnte ich noch nie was anfangen).
#12 ElRhodeo am 25.11.2006 21:29
Schöner Beitrag, gerade in der jeweiligen Einseitigkeit der Kommentare. Irgendwo dazwischen liegt halt die subjektive Wahrheit.
#12.1 hinterlektuelles (Link) am 27.11.2006 19:56
ich bin verwirt und Sauer gleichzeitig wars das jetzt für uns dürfen wir nicht mehr Zocken ich komm nicht mehr in mein Acount was is jetzt los
#12.1.1 cybersaxe am 15.12.2006 19:14
Deine Ausserung zum Thema Egoshooter trifft voll ins schwarze! Bin ganz deiner Meinung! Besionders der Teil:*"Es geht nicht um das Blutbad? Prima, wenn das so ist, lassen wir es doch weg, es wird ja dann niemand etwas dagegen haben!"* Dann hätten wir mit Sicherheit weniger Amokläufer!
#12.2 sale.007 am 20.01.2007 19:01