Freitag, 15. Dezember 2006
„Öhm, was ist das denn da in deinem Ohr?“ „Ach, das ist nur Monrose“
Ach, ich weiß ja gar nicht, wo ich anfangen soll. Vielleicht damit, ehrlich zu sein, die Fakten offen zu legen und einfach zu sagen: Ich bin eine Medienkonsumschlampe. Besonders, wenns ums Singen geht. Ich höre so gerne Menschen singen. Und ich schaue mir gerne Casting-Shows an – wenn die ersten Castings gelaufen sind und ich dieses Vorführen von Talentbefreiten nicht ertragen muss. Anschließend kann ich mich wunderbar an schönen Stimmen und Menschen erfreuen und – unglaublich praktisch – meine dunkle, doppelmoralische Seite ausleben. Kann mich über die Art ereifern, in der der Zuschauer hinsichtlich der „Jurie-Entscheidungen“ vergackeiert wird, junge Talente emotional und körperlich gequält und anschließend in ein kurzlebiges Marketingkonzept gepresst werden – und kann das alles trotzdem total spannend und unterhaltsam finden.
Und so kam es auch, dass ich die neue Popstars-Staffel konsumierte. Und so kam es auch, dass in der einen oder anderen Ecke des Internets serotonische Kommentare zum Thema zu lesen waren. Und so kam es, dass ich eine Wette einging – und verlor. Und so kam es schließlich, dass ich hier und jetzt so arg vor mich her fasele und etwas mache, was ich mir sonst nie erlauben würde: Ein Album rezensieren.
Exterieur:
Das Album „Temptation“ kommt in ein transparentes Plastik-Cover gehüllt daher und verfügt über ein 16-seitiges Booklet, das … Ach, wir sind nicht in der Schule? Nun gut, lassen wir das. Wollte nur anmerken, dass ich es höchst bedenklich finde, dass die Dankes-Texte, die Senna, Mandy und Bahar eigenhändig schrieben, anscheinend nur inhaltlich geprüft wurden, aber keine 5 Minuten Rechtschreibfehlerkorrektur genießen durften. Der eine oder andere Absatz zwischendurch hätte auch nicht geschadet. Ansonsten: Standard-Booklet mit Texten to-sing-along – sofern man denn möchte.
Interieur:
Nun, das wird ein wenig komplizierter. Auch, da ich gestehen muss, an den 3 Mädels einen Narren gefressen zu haben. Vor allem an Bahar, bei der ich bis zur letzten Minute hoffte, dass sie nicht in die Band kommt, dass sie nicht verbrannt wird, dass sie eine ihrem – in meinen Augen – auffälligen Talent entsprechende, zukunfts- und musik(!)orientierte Karriere starten kann. Ich mag ihr sugarsweetes Lächeln und empfinde ihr komplettes Auftreten als absolut hinreißend; besonders ihre Stimme hat mir Gänsehaut gezaubert.
Nun liegt dieses Album hier, das Album, das voll von den drei Mädels sein sollte, zumindest stimmlich. Aber ich vermisse diese Stimmen. Nein, es muss noch weiter gehen: Ich kann ihre Stimmen auf dem Album nicht hören; sie sind nicht mehr da. Sie sind wegretuschiert wie ein Pickel auf Hochglanz-Supermodellhaut.
Nur Senna, die kann ich hier und da raushören. Und 2, 3 Mal ist da auch etwas, was entfernt an Mandys (zugegebenermaßen fürchterliches) Vibrato erinnert. Es ist eine Schande. Aber eines nach dem Anderen.
„Temptation“ möchte ein Mix aus Pop, Soul und R&B sein, soll also dem aktuellen Mainstreamgeschmack – etwas, was ich nicht, wie viele Andere mit erhabenen Ansprüchen, per se für das Böse™ halte – voll entsprechen und in erster Linie eins sein: gut verkäuflich. Tauglich für breite Massen. Herausgekommen ist ein Konzeptalbum, das überraschend konzeptlos daherkommt.
Der Start-Track „Shame“, der ja gerade wunderbar in Pro7-Eigenregie als Trailermusi missbraucht wird, dürfte nun, da er ja wie erwartet die Nummer 1 der deutschen Charts belegt, jedem bekannt sein. Ein auf Erfolg geschriebenes Stück, eingängig, und ich muss sagen: Ich mochte die Live-Version sehr. Schon damals, als Bahar ihn in einer „Entscheidungsshow“ unter Tränen vortrug, schoss mir „Das wird eine Nummer-1-Geschichte“ durch den Kopf. Nun ist aber diesem Stück während der Studio-Aufnahmen etwas eiskalt weggeschnitten worden: Das Herz. Die Stimmen der Mädels.
Insbesondere bei 2:10 rollen sich meine Fingernägel nach außen und meine Augenlider nach innen: Mandy wurde durch den Cher-Filter gedreht. Als ich das das erste Mal hörte, glaubte ich an einen Technikfehler und bin heute noch fassungslos über das, was den Stimmen angetan wurde. Album-Shame ist so sauber, so blütenweiß rein, so seelenlos und austauschbar, dass man es sich kaum anhören kann.
Und so geht es weiter mit Track 2, „Even Heaven Cries“, ebenfalls als Live-Version ein recht ansprechendes Stück. Die Album-Version ist kalt, steril und lässt kaum noch erahnen, wer da welchen Part singt. In meinem Laienohr klingt der Übergang zur Bridge hölzern, geradezu erzwungen; das Durchloopen des Refrains – über 17 Sekunden a cappella bis hin zum abrupten Titel-Ende – ist ebenfalls exemplarisch für die Folgetracks des Albums.
Über „Oh La La“, den dritten Track, weiß ich nicht viel zu sagen. Die Rap-Parts kommen recht ungeschickt umgesetzt bei mir an, der Refrain ist gähnend langweilig und wiederholte „you gotta work it“-Ausrufe strapazieren meine Nerven.
Ähnlich verhält es sich mit Track 4, „No“. Nach wohlbekanntem Schema gestrickt, ist es ein weiteres Lied, das mir so gar nichts sagt. Es wirkt besonders im letzten Drittel holprig arrangiert und endet … ähem, ja, es endet einfach.
Weiter auf der Leidensliste: „I’m gonna freak ya“, Track 5. (Kinners, das wird noch lang hier, aber meine Wertschätzung, dass ihr bis hierher gelesen habt, ist euer. Wenn ihr wirklich weiterlesen wollt, holt euch doch ein Stück Schoki oder so. Soll ja der Seele gut tun) Die Art, wie der Refrain gesungen und arrangiert ist, steht in absoluter Inkongruenz zur Textaussage: Lieblich, fast unschuldig gesungen und mit hellen Plinggeräuschen untermalt. Langweilige Stückchen zwischen den Refrain-Loops. Liebloses Ende.
„Love don’t come easy“, der sechste Track, springt einen mit unglaublich präsent überarbeiteten Stimmen an. Er hört sich einfach falsch an. Digital verzerrt. Wie ein Jahr-2004-Handykamerafoto. Die Bridge kommt daher, als hätte jemand nachträglich gesagt: „Ach, Mensch, so ein Scheiß, wir haben die Bridge vergessen. Ach, .com, das passt noch was rein“
.
Aber es gibt auch so etwas wie Lichtblicke auf diesem Album, wenn man mal von den kaputtgebügelten Stimmen und sich unaufhaltsam wiederholenden Refrains absieht. Track 7, „2 Of A Kind“ ist so einer. Er ist ein Ohrwurm. Er reißt mit. Er hat was. Nur ein Ende, das hat auch er nicht.
Ebenfalls aus der Show bekannt ist auch „Your Love is Right Over Me“, Track 8. Hier empfinde ich die Album-Version allerdings nicht so unglaublich missglückt wie „Shame“ oder „Heaven Cries“. Aber er ist allenfalls als „ganz OK“ zu bezeichnen. So OK wie tausende weitere Lieder dieser Art.
Track 9. Oh-oh. Ich mag gar nicht anfangen. Also noch ein Anlauf: Track 9, „Work it“, erinnerte mich innerhalb der ersten 6 Sekunden schon an etwas lang, lang Vergessenes. Als dann der Refrain begann, da wusste ich es wieder. Erinnert sich noch jemand an Britney Spears’ „Oops I did it again“? Nein? Ihr Glücklichen. Ich arme Sau sehe sie bei „Work it“ rotlackgekleidet im Takt mit den Schultern zucken.
Flucht nach vorne! Track 10, „Do the Dance“, es kann nur besser werden! Nicht? Nein? Naja, vielleicht ein bisschen. Der Track trifft meinen Musikgeschmack halt überhauptgarkein Stück, da mag ich mir auch das Maul nicht zerreißen. Was man nicht versteht, soll man auch nicht bewerten. [visualisieren Sie bitte ein teuflisches Grinsen] Nur die unerbittliche Wiederholung des Refrains und das fehlende Ende auch hier anzuprangern – das mag ich mir herausnehmen.
Kommen wir zu Track 11, „Live Life Get By“ (Zielgeraden, Baby!) Vorab: Der Anfang dieses Tracks ist eine hingerotzte Unverschämtheit. Das ist kein Anfang, das ist einfach nur frech. Ein weiterer Punkt, der unterstreicht, in welcher Hektik und wie lieblos dieses Album produziert wurde. Davon abgesehen ist in diesem Track tatsächlich ein wenig mehr von Mandys Vibrato übriggeblieben. Ich werte das jetzt mal als Pluspunkt. Sonst muss ich gestehen, vollkommen gelangweilt von dem Stück zu sein.
Das Album schließt (Ich sag End, ihr sagt Spurt!) mit Track 12, „Push Up On Me“. Leider sehe ich mich nicht in der Lage, auch nur irgendetwas Produktives zu diesem Track zu schreiben. Ich habe mir 2 Mal die ersten 10 Sekunden angehört und war ganze 1 Mal so mutig, dem vollständigen Track Einlass in meine Hörmuscheln zu gewähren. Leider kann ich mich daran nicht mehr erinnern, was sicher meinem geliebten und in schützender Verdrängung geübten Unterbewusstsein zu verdanken ist.
Fazit:
Tja. Da sitz ich nun. Lese, was ich gerade geschrieben habe und stelle fest, dass ich das Album noch wesentlich schrecklicher finde, als ich bisher dachte. Es ist so seelenlos. Es ist so dahingerotzt; so „auf den Markt geschmissen“. Es ist ein geradezu billiger Abklatsch von dem, was über den großen Teich hier herübergeschwappt ist.
Es ist mir wirklich ein Rätsel, wie man 6 Monate casten, Mädels mit Potential finden, dieses Potential vollständig wegretuschieren, die Protagonisten austauschbar machen und vollkommen übereilt ein Album herausbringen kann, das einfach nur vorhersehbar war und so kalt ist wie ein PC-Gehäuse. Wenn man doch die Möglichkeit hat, diese jungen Mädels an die Hand zu nehmen, ihre Stimmen herauszuarbeiten, sie auf den Weg zu bringen und sie das machen zu lassen, was sie wollten, das, was die Meisten hören wollen: Musik. Etwas, das lebt. Etwas, das den Menschen etwas sagt. Etwas, das Zukunft hat.
Die Musikindustrie scheint einfach nicht lernen zu wollen. Dieses Streben nach schnellem Geld, nach kurzfristigem Erfolg, nach Klingelton-Fähigkeit ist für mich absolut unverständlich and such a shame (scnr). Es war zwar vorhersehbar, dass es auch bei „Monrose“ wieder so kommen wird – das macht den Umstand selber jedoch nicht besser. Ein kurzer Blick auf die Amazon-Bewertungen zeigt, dass fast 50% der bisher aktiv gewordenen Rezensenten das gleiche Fragezeichen auf der Stirn tragen, Unverständnis zeigen, nach Qualität und Herz und Stimmen verlangen.
Ich hoffe sehr für Senna, Mandy und Bahar, dass sie noch eine Chance bekommen. Sei es mit einem zweiten Album oder mit einer Solo-Karriere, jedenfalls mit Produzenten, die ihren Job nicht so offensichtlich wenig lieben.
Für irgendetwas muss die ganze Schinderei doch gut sein.
Wer gelesen hat, wie der O-Ton des Wettgegenstandes lautete, dem wird auffallen, dass ich ihm mitnichten entspreche. Dass das hier wirklich alles andere als eine wohlwollende Rezension ist. Beim besten Willen hätte ich hier nicht wohlwollend sein können und hoffe, dass mein hochgeschätzten Wettpartner (und ebenfalls Wett-Verlierer, hehe! :D) es gelten lässt, dass ich fehlendes Wohlwollen mit Ausgiebigkeit kompensierte.
Vergiß bitte nicht: Du sprichst hier zu Menschen, die sich das von vorne bis hinten angehört! haben ...
(Gnihihihi :D)
Christian:
Genau. Und das MEHRFACH. Und Track-für-Track BEWUSST! Wir sollten uns bei Gelegenheit einmal kräftig gegenseitig die Schultern abklopfen, jarwoll.