Mittwoch, 31. Mai 2006
Maßbrand
In einer TV-Wiederholung gestern drang es schon wieder an meine im Allgemeinen als sehr klein bezeichneten Ohren. Ich kann es nicht mehr hören – es mag zwar merkwürdig überzogen klingen, aber es macht mich wirklich wütend, dieses
Daran will ich mich messen lassen
aus Politikermunde. Getz mal ganz ehrlich: Mir ist persönlich niemand bekannt, der sich für das Messen von Einzelpersonen interessiert. Es hat auch noch nie jemand hektisch meinen Weg gekreuzt, wild mit einem Maßband gewedelt und gerufen „Platz da, aus dem Weg! Ich habe einen Politiker zu messen!“.
Zugegeben, das wäre auch etwas merkwürdig, weil der den schönen Spruch aufsagende Politiker ja gar nicht seinen Körper vermessen lassen möchte, sondern die Qualität seiner Arbeit. Ach so, da wären wir ja schon! Es geht also um Inhalte, wenn es hier ums Messen geht. Schön und gut.
Gut? Mitnichten. Ich könnte mich mit „Daran will ich meine Leistung messen lassen“ ebensowenig anfreunden. Denn auch hier geht es um das Messen, um das Bewerten der Leistung einer Einzelperson. Dabei ist die Leistung dieser Einzelperson – gleichgültig in welcher Position – im Gesamtkontext vollkommen uninteressant. Zwar nicht unerheblich, aber nun mal nicht interessant. Denn die Leistung eines einzelnen Politikers ist nur in wenigen Fällen Gegenstand oder gar Ursache von Landesproblematiken.
Es ist dieser Ego-Trip, diese Verlagerung von Inhalten zu Personen oder Parteien, die mich wütend macht. Ebenso wie die gängige Praxis, den Schwarzen Peter von einer Partei zur Nächsten durchzureichen. Das ist Zeit- und Energieverschwendung; Energie, die die Damen und Herren gerne an einem lustigen Stammtisch in kuschelig verrauchten Kneipen freisetzen können.
Da kann Parteivorsitzender X Minister Z zu gerne „Du bist doof und stinkst“ an den Latz knallen, und jeder, der nicht innerhalb von 10 Sekunden was noch viel Schlimmeres an seinem Gegenüber findet, als er oder seine Partei selber verbrochen hat, kann dann von mir aus auch gezwungen sein, einen Kurzen zu trinken. Bis sich zur Sperrstunde alle rührselig in den Armen liegen und sich beichten, dass man sich eigentlich ja total lieb hat, aber nun mal seinem Ego erlegen ist. Fänd ich OK. Können’se machen.
Jetzt könnte man aufschreien und mir zurufen, dass man mit Friede-Freude-Eierkuchen keine Politik machen und mit Inhalten keine Stimmen fangen kann. Es ist mir aber durchaus bewusst, dass Reibungspunkte zwischen Parteien unerlässlich sind, um alle Aspekte zu berücksichtigen und zu guten Lösungen zu gelangen. Es ist mir auch bewusst, dass ein bisschen Personenkult notwendig ist, um das dumme Wählervolk bei der Stange zu halten. Es ist die ständige Thematisierung der Fehler Anderer, das Suhlen im Vergangenheitsdreck, die Ver-ego-risierung der Politik, wenn es doch um ein gemeinsames Ziel – nämlich gemeinsame, funktionierende Lösungen für dieses Land zu finden – geht, die ich für völlig unverhältnismäßig und unangebracht halte.
Mir schwant, es würde nicht nur meinem Blutdruck gut tun, wenn diese Kleinkriege zu dem würden, was sie im Grunde sind: Nebenschauplätze.
Ergänzend möchte ich hinzufügen, daß der Ausspruch "Daran möchte ich mich messen lassen" ganz besonders aus Politikermunde völlig für die Tonne ist - gesagt haben es schon viele, umgesetzt hat es keiner.
"Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?".
: bisschen Personenkult notwendig ist, um
: das dumme Wählervolk bei der Stange zu
: halten
tja, leider ist es wohl so. Selbst die Grünen (oder hiessen sie jetzt Bündnis 90 :-)?) haben ja irgendwann zumindest *auch* Personenwahlkampf betrieben, nachdem sie das jahrelang abgelehnt hatten.
Wobei - wie so oft - wenn man sich immer nur auf die vermeinliche Zielgruppe einschiesst und versucht, den Geschmack so vieler wie möglich zu treffen - dann kommt im Endeffekt mathematisch wie sachlich der kleinste gemeinsame Nenner heraus.
Aber den Mut, mal wirklich Profil zu zeigen, den hat - Egomanie hin oder her - trotzdem selten jemand.
Und ich fürchte ja, das ist eine Abwärtsbewegung - je weniger Profil, desto weniger Interesse auf Wähler- (und übertragbar: Konsumenten-) seite, desto weniger Mut zum Profil, desto ....
Übrigens hat der Blüm den Auspruch wohlweislich vermieden...
Aber Recht haben Sie, Frau serotonic - nicht nur auf Politiker (aber auch und gerade da) bezogen. "Alle wissens besser und keiner weiß Bescheid."
D’accord!
Ferner: Natürlich brauchen Wähler ein Gesicht, dem sie Glauben schenken können, das sie mögen, das sie unterstützen möchten. Aber dazu müsste man erst einmal generell Vertrauen zu den bisher zu schlecht und untransparent transportierten Inhalten wecken – Teufelskreis. Ich fordere erneut einen Resetknopf für die Menschheit.
eon:
Ich hoffe, dass wir von dieser Horrorvision noch etliche Jahre entfernt sind. Spannend sollte Politik schon sein, aber keinesfalls spektakulär …
: Menschheit.
Echt? mit DEN ganzen Bootproblemen, nicht gefundenen Treibern und Dateien, der aufgeblähten Registry und den Fehlern im Dateisystem? Das läuft doch eh kaum mal ein paar Tage rund - warum dann nicht Format c: und mal ein neues Betriebssystem versuchen?
Die Entscheidung, welches OS dann rankommt, dürfte aber keinesfalls von der Menschheit gefällt werden. Sonst wird das noch nicht mal fürs nächste Jahrtausend was. Oder das Problem löst sich von selber, weil sich alle gegenseitig die Köppe einschlagen. Auch nicht schlecht, wenn ich da mal so drüber nachdenke … ;)