Dienstag, 27. Dezember 2005
3 Engel für Zwei
Dies wird eine indirekte Lobesrede auf 3 Menschen und die langatmige Erzählung einer sehr unfeinen Begebenheit, die sich ereignete, als die Domfrau und ich eine simple Heimfahrt zu später berliner Stunde tätigen wollten. Aber fangen wir ganz von vorne an: so eine kleine Geschichte möchte auch mit Hintergrund und Einzelheiten erzählt werden.
Die Domfrau und ich machten uns am frühen Abend auf ins Theater, Linie 1 gucken. Ein wirklich reizendes Stück über das (Aneinander-vorbei-)Leben der Menschen einer Großstadt, mit einer in unseren Augen mäßig talentierten, dafür aber mit einem ausgesprochen ehrerbietungswürdigen Hinterteil bestückten Hauptdarstellerin. Fasziniert und beschwingt von dem Stück nahmen wir die U-Bahn zurück zum Bahnhof Zoo, nahmen Platz im Mc Donalds vor Ort. Zwischendurch verließ ich den Mc Donalds, um mich in der Kälte meiner Nikotinsucht hinzugeben, kehrte aber schnell wieder an den nach Big Tasty duftenden Ort zurück.
Na, langweilig bis jetzt? Wird auch noch ein Stückchen langweilig bleiben. Durchhalten!
Nachdem wir unsere 0,5-Liter-Getränke in uns hineingeschüttet hatten schlenderten wir selig zum Bahnsteig um die Heimreise anzutreten, und wie das halt so ist mit der geliebten Bahn, zeigte uns die Tafel 10 Minuten Verspätung an. Also gaben wir unseren 0,5-Liter-Getränken für saubere Eineurozehn die Chance, unsere Körper wieder zu verlassen, wechselten noch ein paar Sätze mit der toilettenreinigenden Servicefrau, die vormals wohl ein Mann war, und schlenderten wieder zum Bahnsteig.
Dort angekommen merkten wir das erste Mal, dass etwas nicht stimmte. Da drückten sich zwei ganz finstere Gestalten ständig in unserer Nähe rum, die wir aber, fröhlich Musik hörend, ignorierten. Dann die Durchsage, die Verspätung des Zuges würde sich auf 30 Minuten erhöhen. Kurzes Seufzen, aber hey, egal, wir hatten Musik im Ohr und Ruhe im Blut, da wartet es sich doch angenehm. Hinter uns aß ein netter Herr eine fantastisch duftende Pizza, von welcher er mir auf mein Schnuppern hin doch glatt ein Stückchen anbot. Ich verneinte dankegrinsend, wünschte einen guten Appetit und versank wieder in Musik. Wir konnten aber gar nicht so tief in der Musik versinken, dass wir die beiden fiesen Typen völlig hätten ausblenden können: der eine klein, bullig, gedrungen, der andere ein Stück größer, mit einer richtigen Schlägerfresse und langem, ungepflegtem Haarzopf ausgestattet.
Die Beiden umkreisten uns bedrohlich. Und auf einmal sprachen sie uns an, ob wir eine Zigarette hätten, was wir verneinten, wir wären Nichtraucher. Das sah aber vorhin ganz anders aus.
reagierte der Bezopfte, und beide trollten sich ganze 3 Meter. Hier wurde uns langsam unwohl, dachten aber nicht weiter darüber nach, konzentrierten uns eher auf Blickkontaktvermeidung.
Dann endlich fuhr der Zug ein. Wir passten ab, in welchen Waggon die fiesen Typen stiegen und rannten schnell in einen anderen. Dachten, damit sei die Sache erledigt. Weit gefehlt – die Beiden kamen hinter uns hinter. Kaum, dass wir sie erblickten, wechselten wir wiederum den Waggon. Es half nichts, die fiesen Typen verfolgten uns. Im anderen Waggon trafen wir auf den Herren, der am Bahnhof noch seine Pizza genoss, und besetzten sofort die beiden freien Plätze neben ihm. Die finsteren Gestalten schlichen an uns vorbei und nahmen in hinteren Teil des Waggons Platz.
Der nette Herr sprach uns an, warum wir denn verfolgt werden würden. Erst in diesem Moment wurde uns richtig bewusst, wie offensichtlich aggressiv die Beiden an uns interessiert waren, denn in dem Gesicht des Herren prangte offene Sorge. Als dann einer der beiden Typen wieder anlasslos in unsere unmittelbare Nähe kam, bekamen wir es langsam mit der Angst zu tun.
Dann kam der Schaffner, kontrollierte unsere Tickets – der eine fiese Typ versteckte sich. Kaum war der Schaffner vorbeigezogen, trat der Typ wieder aus seiner Deckung und starrte uns offen und bedrohlich an. Da verließ mich die Geduld, ich sprang auf, dem Schaffner hinterher. Fragte ihn (nennen wir ihn des Persönlichkeitsschutzes halber Herr Schlehmann), ob er Handhabe hätte, würden zwei Frauen in seinem Zug verfolgt werden. „Wer? Und wo?“ war seine sofort zupackende Antwort, er hatte wohl die Besorgnis in meinem Gesicht sofort erkannt.
Ich schleppte ihn also zurück und verwies ihn auf das Versteck des fiesen Typens. Währenddessen gab der nette Herr der Domfrau seine Visitenkarte, er müsste bald aussteigen, wolle aber doch als Zeuge – sollte noch etwas passieren – auffindbar sein. Der fiese Typ war nicht im Besitz eines Tickets, löste aber eines bis Brandenburg, was auch unsere Station war. Herr Schlehmann hatte mittlerweile ebenfalls einen besorgten Blick aufgelegt, der Typ sei „nicht ganz sauber“ und auch ihm unheimlich. Er hatte ihn angewiesen, Platz zu nehmen, somit starrte er nur noch aus der Ferne.
Die liebe Domfrau organisierte zwischenzeitlich zu unserem Schutze eine hinreißende, männliche Wegbegleitung mit gleichem Fahrziel. (Dass sie dabei den hübschesten, wohlerzogensten, mit dem hinreißendsten Lächeln ausgestatteten jungen Mann im Umkreis von mindestens 20 Kilometern aussuchte, soll nicht unerwähnt bleiben. Den hätten wir beide doch gerne mit nach Hause genommen, hätten wir dort nicht schon zwei ausgesprochene Prachtkerle sitzen. Ein bisschen wehmütiges Seufzen an dieser Stelle sei uns aber bitte gegönnt.)
Nun saßen wir da mit drei wahnsinnig engagiert diskutierenden Männern um uns herum, die nichts anderes im Sinne hatten, als uns sicher zu wissen und den Umstand zu kritisieren, dass zwei junge Frauen noch nicht mal alleine vom Theater nach Hause fahren können, ohne dass sich jemand aufgefordert fühlt, diese zu belästigen.
Im Zug waren wir somit aus der Gefahrenzone und hatten das erste Mal Zeit, zur Ruhe zu kommen und wahrzunehmen, dass die Beiden wohl schon mindestens seit unserem Mc-Donalds-Abstecher, also deutlich über eine Stunde, hinter uns her gewesen sein müssen. Dort hatte ich die letzte Zigarette geraucht, was die fiesen Typen noch am Bahnsteig haben anklingen lassen. Verfolgt zu werden – ein abschnürendes Gefühl. Zu wissen, dass die Verfolger das gleiche Fahrziel haben – ein geradezu hetzendes Gefühl.
Herr Schlehmann war damit ganz und gar unzufrieden und erkundigte sich via Telefon, ob in Brandenburg die Bundespolizei vor Ort wäre und drückte seine Besorgnis ob der Gestalten aus. Er konnte uns mitteilen, dass wir den Zug unter Schutz verlassen würden und ein wenig aufatmen könnten. Was wir dann auch taten, aber nur ein wenig, denn so ein paar Bundespolizisten kann man ja schlecht einfach ins Täschchen packen und mit auf den nach-Hause-Weg nehmen.
Richtig aufatmen konnten wir aber schon wenige Minuten später. Herr Schlehmann hatte seine Besorgnis wohl so prägnant ausgedrückt, dass bereits an der nächsten Haltestelle 4 Bundespolizeibeamte unseren Wagon betraten und die fiesen Typen zur Personenkontrolle auf den Bahnsteig beförderten. Wo sie auch vom sofort von dannen rollenden Zug und unserem nunmehr sicheren Bauchgefühl zurückgelassen wurden.
Wir haben aber gelernt, wie es sich anfühlt, verfolgt zu werden. Nicht sicher zu sein. Nicht frei zu sein, weil andere Menschen deinen Weg ungefragt und ungebeten mehr als nur kreuzen möchten. Und wir haben Menschen getroffen, die nicht wegsehen, die etwas im Keim ersticken, was gefährlich werden könnte. Die mehr getan haben, als ihre Pflicht. Die Schutz angeboten und ein bisschen Sicherheit gegeben haben, größtenteils mit Worten und Anwesenheit, aber auch mit Taten. Die aufmerksam waren und nicht dachten „Is’ mir doch egal, ich will meine Ruhe, is’ schon so spät“. Für mich auch ein Häkchen an der Stelle, dass an der Bahn nicht alles für’n Arsch ist, sondern auch ein paar Perlen dort zu finden sind.
Einen ganz lieben, sehr herzlichen Dank senden die Domfrau und ich somit an den netten Herren mit der Pizza, den hübschen, wohlerzogenen jungen Mann und den freundlich-bestimmt zupackenden Herrn Schlehmann von der Bahn: unsere 3 Engel in einer bedrohlichen Dezembernacht.
Erinnert mich ein bisschen ein meine gestrige Zugfahrt. Aber irgendwie schaffe ich es immer wieder, bedrohliche Situationen mit einer gespendeten Kippe aus dem Weg zu gehen. Ich darf nur nicht aufhören, zu rauchen. ;-)
Tschuldigung. Musste sein. :)
Ich finde, dass die positive Erfahrung darin die Negative deutlich aufwiegt, gerade in der heutigen Zeit (das klingt als wär' ich >50, uaargh) ist Courage doch recht rar geworden, finde ich.
Übrigens spende ich gerne mal hier und da eine Zigarette, das tut mir nicht weh. Das "nein" an die Beiden war nur ein Versuch der (Blick-)Kontaktvermeidung - ich glaube auch nicht, dass eine Zigarettenspende die Situation aufgelöst hätte.
Johannes:
Dass Rauchen einem manchmal das Leben rettet - unfassbar, gelle? ;D
Smiley:
'Tschuldigung angenommen ;)
Der Ausgang dessen berührt mich jedenfalls sehr - und macht mich glücklich, dass es noch Sorgenvolle Menschen gibt und Schaffner, die Sorgen auch ernst nehmen. Ich kann mir vorstellen, dass eben solche Situation auch sehr einfach sehr anders hätte ablaufen können.
Schön, dass das ganze unbedrohlich ausgegangen ist! :-)
Ein mulmiges und gruseliges Gefühl bleibt. Die Frage, was solche düsteren Gestalten eigentlich im Schilde führen, wie man sich im Vorfeld am besten schützen kann - und was man denn tut, wenn keine 3 Schutzengel bereitstehen.
Aber die Freude über den guten Ausgang überwiegt bei weitem. :-)