Dienstag, 12. Juni 2007
Surfer
Tagein, tagaus schwimmen du und ich auf dieser Welle, die uns alle, aber jeden für sich, hin-, weg-, fort- oder auch einfach nur weiter trägt.
Hat dich die Welle schon einmal gefragt, ob du mit ihr kommen möchtest, ob es dir Recht ist, ihr Begleiter zu sein? Mich hat sie nie gefragt. Ein wenig verwundert war ich schon, als sie mich einfach, geradezu nebenbei, Huckepack nahm und mich eins machte mit dem ewigen Zyklus aus strudelnder Ebbe und vorbeirauschender Flut.
Ich habe es ihr nicht übel genommen. Ich halte sie nicht für vergesslich oder gar unhöflich – es liegt nicht in der Natur der Welle, zu fragen.
Über wohlgeformtes Benehmen ist sie erhaben – sie besteht aus reinem Selbstzweck – auch wenn sie sich über alltägliche Befindlichkeiten ergießt. Das eine Mal malt sie diese so unfassbar bunt, dass es dich schneeweiß blendet – ein anderes Mal saugt sie alle Farben auf, die der Regenbogen dir noch zwinkernd geschenkt hatte, kehrt sie in ihr Innerstes und mischt sie zu dem grauen Schwarz, das man nur aus Aquarellkästen und Novemberabenden kennt.
Kennst du das Gefühl, an der Welle zu zerren und zu reißen, bis deine Handflächen dünn werden und Blutspuren hinterlassen? Dann weißt auch du: es nützt nichts. Sie wird weiterrollen. Es liegt nicht in der Natur der Welle, stehen zu bleiben.
Versuche, die Welle zu überholen – kaum hast du dieses eine Grinsen im Gesicht, während du den Kopf siegessicher über die stolzgereckte Schulter wirfst, wird sie die Brandung losschicken, deine Fesseln spielerisch zu umschlingen und dir die Beine ruckartig unter deinem Körper wegzureißen.
Versuche, dich mit deinem blutigen Kinn leise wegzuschleichen – die Welle wird sich leise anpirschen, halb gelangweilt Katz und Maus mit dir spielen und sich auf deinen Rücken stürzen, sobald du ihrem zur Schau getragenen Desinteresse auch nur für einen Sekundenbruchteil Glauben schenkst und dich in süßer Sicherheit wiegst.
Versuche, sie zu überlisten – sie wird deinen festen Tritt erkennen und dich am Geruch deines Gesichtes finden, obwohl dein Blut schon längst geronnen ist; sie wird sich in deine Waden krallen und dir unmissverständlich und auf Dauer klar machen, dass eure Wege untrennbar miteinander verflochten sind.
Sei gewarnt: Die Welle sagt dir Dinge, die du nie wissen wolltest; lehrt dich Lektionen, die dich bereichernd schmerzen.
Sei gewiss: Es liegt in der Natur der Welle, immer genau das zu sein, was du gerade nicht vermutest.
Und während Sie dich spielend trägt – so, dass es den Anschein macht, du bedeutest ihr nicht mehr als eine Brise Ostwind – pfeift sie dein Lied. Mit einem Lächeln auf den Lippen.
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