Dienstag, 31. Oktober 2006
Herbstschmerz
Als ich aus dem Bürogebäude trete, fühlt es sich an, als hätte jemand einen Schraubstock ganz fest um meine Schläfen gelegt. Ich fühle mich niedergeschlagen und müde, schlurfe über den im Sommer noch so wunderbar glutheißen Platz und sehe dabei den wenigen braunen Blättern zu, wie sie sich zitternd an ihren Baum klammern.
Es fröstelt mich – ich hebe instinktiv den Kopf, suche nach der Sonne, um mich an ihr zu wärmen. Doch es sind nur Wolken zu entdecken. Schwere, tiefgraue, bisweilen schwarzgepunktete Wolken, soweit mein Auge reicht. Ich seufze hörbar. Ich glaube zumindest, dass ich seufze, denn eine kaltfeuchte Windböe kommt vorübergeeilt, trägt jeden menschlichen Laut fort, entreißt dem Baum einige seiner ängstlichen Blätter und trägt sie bedenkenlos mit sich ins triste Nirgendwo.
Schnell, fast erschrocken, senke ich meinen Kopf und starre auf den Boden. Ich möchte schneller gehen, dem Grau und der Kälte entfliehen, doch meine Beine sind zu lustlos, schlurfen weiterhin langsam über den rauen Asphalt. Sie wissen jetzt besser als ich, dass das Ziel nicht mit Schnelligkeit in Metern, sondern nur mit Geduld in Zeit erreichbar ist.
So gehe ich bis zum Parkhaus, bis mich ein winziges, weiches Hindernis am Fortschreiten hindert. Mitten im Weg liegt sie, klein und leblos: eine Hummel. Traurig knie ich neben diesem zarten Wesen nieder, will sie hier nicht liegenlassen, hier, wo eilige Menschen kein Auge für tote Hummeln haben und sie zertreten würden. Als ich sie in die Hand nehmen will, regt sich plötzlich ein Bein. Zuerst denke ich: Das ist nur der Wind. Dann erkenne ich, dass die Hummel noch lebt, noch ein kleines bisschen.
Plötzlich schießen mir die Tränen in die Augen; das kleine, sterbende Wesen schafft das, was die letzten Wochen nicht geschafft haben – ich weine. Weine um eine Hummel, die es nicht verdient hat, alleine in dieser windigen Kälte zu sterben, um den verlorenen Sommer, um Menschen, die zu weit weg sind, um wirklich für sie da zu sein, weine um ein Jahr, dass mir zu viele tiefe Schläge verpasst hat.
Menschen gehen an mir vorbei, ich nehme sie nur verschwommen durch den Schleier aus Tränen und viel zu blondem Haar wahr. Ich frage mich, wie seltsam das wohl für sie aussehen muss, wenn sie meine Gestalt hier auf dem Boden kniend sehen, den Kopf gesenkt, die Hände zu einer schützenden Höhle geformt. Niemand hält inne, niemand fragt. Doch ich kann sie verstehen. Das Leben ist viel zu schnell, um stehenzubleiben.
Nein zu Wahlcomputern
Don Dahlmann mit einigen äußerst lesenswerten Fragestellungen zu Wahlcomputern, die nach und nach den guten Kuli und das verlässliche Papier ersetzen sollen.
Ich hatte ja bereits das zweifelhafte Vergnügen, meine Stimme ins gefühlt unkontrollierte Nirwana zu schicken und mag nicht zusehen, wie ein recht verlässliches und kontrollierbares Wahlsystem gegen ein manipulierbares, undurchsichtiges eingetauscht wird. Eine Petition zur Streichung des Paragraphen, der den Einsatz von Wahlgeräten überhaupt erst zulässt, kann man – ach was: sollte man! – hier unterzeichnen.
Dieser Eintrag wurde bereits vor etlichen Tagen geschrieben und soeben zwischen den Entwürfen entdeckt. Dabei war ich so sicher, dass ich ihn bereits freischaltete. Bastet, lass ursprünglichen Hirnzustand regnen!
Montag, 30. Oktober 2006
Danke. Für ein Weilchen.
Sie wird morgen direkt als Erste operiert …
Mir wird schwindelig, ich presse das Telefon fest gegen meine Wange und atme tief durch, atme die leise aufsteigende Panik klein, besinne mich auf meine Aufgabe. Dann fahre ich nachher los.
stelle ich fest, spreche noch kurz Details ab und beginne mit den Vorbereitungen. Einige Stunden später sitze ich auf dem Beifahrersitz neben dem Poschisten, er lenkt das Auto durch die Dunkelheit gen Norden. Wir sind auf dem Weg, über sie zu wachen.
Zimmer 34a, Zentrale Aufnahmestation. Ich stehe einige Sekunden vor der Tür, die Klinke in der vor Ungewissheit zittrigen Hand, und versuche, mich auf sie vorzubereiten. Sie weiß nicht, dass ich hier bin. Wie wird sie reagieren? Wird sie mein Erscheinen so interpretieren, dass die OP noch riskanter ist, als die Ärzte ihr sagen oder wird sie sich einfach nur freuen, dass ein Teil ihrer kleinen Familie für sie da ist? Ich schüttele die Unsicherheit ab, ziehe Grimassen, um die Sorgenfalten zu glätten, straffe die Schultern und trete strahlend ein. Sie sieht so klein und schwach aus auf dem großen, weißen Krankenbett. Eine Sekunde lang blickt sie mich verwirrt an, dann klären sich ihre Augen und strahlen ein fassungslos freudiges Hallo.
Wir halten uns an den Händen. Ihre Kraft ist erstaunlich, ebenso das Leuchten Ihrer Augen. Ich frage mich für einen kurzen Moment, ob von uns beiden wirklich ich es bin, die Trost und Halt schenkt. Sie sagt wieder, dass sie Angst hat, aber dass die Ärzte und Schwestern ja so unglaublich nett sind und dass sie ihnen Vertrauen schenkt. Ich ergreife die Gelegenheit und beginne, sie abzulenken, sie erzählen zu lassen. Sie wettert gegen Dieses und Jenes, ereifert sich über das Wetter, über Menschen aus Ihrem Umfeld. Irgendwann streife ich ihr fast nebenbei das OP-Hemd und die Thrombosestrümpfe über, erzähle ihr dabei von unseren Katzen und sage ihr, wie unglaublich sexy diese Strümpfe sind und dass die Ärzte sich noch die Finger nach ihr ablecken werden. Wir lachen fast ausgelassen – die kurz bevorstehende OP ist wie ein ungreifbarer Luftballon, der über uns schwebt, uns die Sicht aber nicht nehmen kann.
Dann betreten zwei Schwestern das Zimmer. Frau S., es geht los!
Die warme Hand, die in meiner liegt, zuckt zusammen, ich fühle, wie sich ihre Fingernägel in meine Handfläche bohren. Ich streiche ihr über das stellenweise nun vollkommen weiße Haar, gebe ihr einen Kuss, drücke sie. Nochmal. Und nochmal. Laufe neben ihrem Bett her und winke ihr noch ein letztes Mal, rufe ihr ein „Bis nachher, Omi!“ zu, bevor sie mit dem Bett in dem kalt ausgeleuchteten Aufzug verschwindet. Und mich leer zurücklässt.
Wir warten. Der Poschist beißt in sein Brötchen, und während ich ihm beim Kauen zuschaue, kommt mir der Gedanke, wie reich ich eigentlich bin. Dass da der Mann meines Herzens vor mir sitzt, mich diese 550 sorgenweiten Kilometer entlang begleitet hat und jetzt da ist, mit mir wartet, mich stützt. Ich denke an die anderen Menschen, die jetzt wohl auch an mich denken, die mir die Kraft geben, für diesen mir wichtigen Menschen zu warten. Und bin ihnen für einen langen Moment sehr dankbar.
Die Stunden vergehen. Jede Minute nehme ich einzeln wahr, sie ziehen sich wie Kaugummi, und ich bin froh, dass Digitaluhren keinen tickenden Sekundenzeiger haben. Ich sitze in ihrem Sessel; schaue mir ihre Bilder, ihre Erinnerungen, ihr Leben an. Versuche nachzufühlen, warum sie damals so weit fort gegangen ist und verfluche den Tag, den Menschen, der ihr ein Leben in unserer Nähe unmöglich machte. Ich streiche mit den Fingern über die Häkel-Sofakissen, mit denen ich als Kleinkind schon gekuschelt habe und fühle, wie mir das Herz fast platzt, weil es so voll ist mit diesem Menschen, der so einen großen Teil von mir selber ausmacht.
Immer wieder blicke ich hektisch auf mein Handy, der Empfang hier ist schlecht und ich habe Angst, dass das Krankenhaus mich nicht erreichen könnte. Irgendwann klingelt es. Mein Herz krampft sich zusammen, meine Stimme überschlägt sich, doch die Nachricht ist nur die, dass man noch nichts weiß, dass sie noch operiert wird. Ich solle später noch einmal anrufen. Ich laufe in der Wohnung auf und ab, erblicke mich im Gaderobenspiegel und erkenne mich nicht. Nachdem noch weitere Stunden vergangen sind, halten wir das Warten nicht mehr aus und fahren wieder ins Krankenhaus.
Ich stehe vor der Tür der Intensivstation und weiß immer noch nicht, wie es um sie steht. Es kommt mir vor, als hätte ich schon vor Stunden geklingelt und gehe auf 1 1/2 Quadratmetern auf und ab. Endlich knackt es in der Gegensprechanlage, ich presse meine klammen Finger in die Seitentaschen der Winterjacke, in der ich so friere, und schildere mein Anliegen. Einen Augenblick bitte.
Um mich herum verschwimmt alles.
Was bedeutet das, „Einen Augenblick bitte“? Wie hat sie das betont? Ist das ein gutes Zeichen? Ist es ein schlechtes? Ich warte wieder gefühlte Stunden, gehe alle Szenarien im Kopf durch, die zu „Einen Augenblick bitte“ passen würden und stelle mir das Gesicht vor, das gleich die Türe öffnen wird. Werde ich aus diesem Gesicht die Antwort lesen können? Natürlich kann ich es nicht. Hilflos blicke ich die Schwester an, die mir die Tür öffnet und überfalle sie mit mehreren halben, vollkommen wirren Sätzen und schaffe es schlussendlich, die klare Frage „Wie geht es ihr?“ zu stellen. Mit der einen Hand streicht sie mir über den Arm, mit der anderen reicht sie mir einen Kittel, während sie mit einem vorsichtigen Lächeln Es geht ihr gut. Sie ist gerade aufgewacht.
sagt.
Leise trete ich an ihr Bett und blicke ängstlich auf das vollkommen weiße Gesicht, das von den ebenso weißen Haaren eingerahmt wird. Vorsichtig lege ich meine Hand auf ihre Hand und hoffe in der gleichen Sekunde, dass sie sich nicht erschreckt, weil meine Hand doch so kalt ist – noch bevor ich bemerke, dass ihre Hand noch kälter ist als meine. Sie seufzt und öffnet unter Anstrengung ein Auge. Es dauert einen Moment, bis sie mich erkennt. Ein Ruck geht durch ihren Körper, der Monitor hinter ihr protokolliert rot die kleine Abweichung von den Optimalwerten, und sie lächelt. Leise räuspert sie sich und flüstert: Da bist du ja, Mäuschen …
Ich lächle ein einfallsloses „Und du erst!“und sehe erleichtert, dass die Farbe langsam in ihr Gesicht zurückkehrt.
Ich bleibe lange bei ihr sitzen, halte ihre Hände, streiche ihr über Gesicht und Haar, bis sie anfängt, mit mir zu schimpfen, ich würde ihre Frisur nun vollends ruinieren. Ich muss lachen und verlege mich darauf, die Adern ihrer Hände nachzufahren und mich darüber zu wundern, wie weich Hände sein können. Als sie dann auch noch anfängt, mit dem jungen Arzt zu schäkern, der die Nachtschicht übernimmt und ihre Verbände kontrolliert, als sie mir aus halb geschlossenen Augen zuzwinkert und mich auf mein gespielt entrüstetes „Aber Omi!“ hin schimpft, dass ein wenig flirten ja wohl noch erlaubt sei, da weiß ich: ich hab sie wieder. Das Weilchen, dass ich mir so sehr gewünscht habe, für mich, für unsere mikroskopisch kleine Familie, aber am meisten für sie, das ist uns gegönnt. Der feste, anhaltende Händedruck, mit dem sie mich später am Gehen hindern will und der dem Monitor-Protokoll einen weiteren Eintrag beschert, fühlt sich an wie ein Versprechen.
Als ich die Tür der Intensivstation wieder hinter mir schließe, ruft der Poschist mir Du lächelst ja!
entgegen, und ich fühle, dass meine Schultern wieder grade sitzen, was das Wort „Erleichterung“ wirklich meint. Noch ist mein Herz nicht frei, noch liegt eine unsichere Nacht vor uns, aber ich habe diese Art von tiefer Gewissheit in mir, die man nicht ausspricht, die man nur für sich behält, damit man sie nicht verrät und damit versehentlich zerreißt. Es geht ihr gut. Sie scherzt schon.
sage ich mit erhobenem Kopf, fühle, dass meine Wirbelsäule diese Haltung nicht mehr gewohnt ist und bemerke, dass mein Magen knurrt. Ich hab’ jetzt tierischen Hunger
ergänze ich und mache das mit meinem Gesicht, was man „grinsen“ nennt.
Am nächsten Morgen lächelt sie mir schon entgegen. Sie hat die Nacht ohne jegliche Komplikationen hinter sich gebracht, die Schmerzmittel wirken gut und die Schwestern versichern uns, dass sie heute schon auf Station verlegt wird. Sie freut sich unheimlich über den kleinen, grimmig dreinschauenden Stoff-Mops, den ich ihr mitgebracht habe, damit er über sie wacht, wenn ich heute wieder fahren muss. So halten wir eine lange Weile unsere Hände und Stoffpfoten, lächeln uns an und sind froh, dass wir zusammen, dass wir da sind. Ich verspreche ihr, sie nächstes Jahr wieder für ein paar Tage zu besuchen, und dass ich sie in der Zwischenzeit in meinem Herzen halte und an sie denke. Ich merke, dass sie traurig ist, traurig wegen der wieder einmal bevorstehenden langen Trennung – und als ob sie meine Gedanken hören könnte, sagt sie Aber ich möchte nicht zurück, Mäuschen. Ich bin hier zu Hause.
, während sie unter Anstrengung ihren Arm hebt und mir liebevoll durchs Haar streicht.
Als der Poschist und ich später im Auto sitzen, die Nase wieder gen Süden gerichtet, da bin ich hin- und hergerissen zwischen der Freude, auf diese glückliche Art nach Hause fahren zu dürfen und dem Schmerz, sie dort alleine zurücklassen zu müssen. An dieser Situation werden wir nichts mehr ändern können, alte Bäume verwurzelt man nicht, ohne ihnen schwer zu schaden. Aber jetzt haben wir zumindest noch ein Weilchen, um uns über die Entfernung hinweg gut zu tun. Worte finden, die beschreiben, wie sehr ich das schätze, wie dankbar ich bin – ich kann es nicht. Aber ich nehme all diese Gefühle, forme ein schönes Päckchen aus ihnen und lege sie geballt in ein langes Lächeln.
Donnerstag, 26. Oktober 2006
Auf Wunsch eines kleinen Engelchens
Zuerst habe ich mich gefragt: „Was ist denn hier los?“ Ü-ber-all Tinte. Über den ganzen Boden der Küche verteilt; eine Spur führt aus ihr heraus, in mein Arbeitszimmer. Beim genaueren Hinschauen entdecke ich ein wohlbekanntes Muster. Ich rufe sie: „Phoooebe!!?“
Da sitzt sie. Putzt sich. Schaut mich unschuldig an und nagt an ihrer Vorderpfote. „Was hast du angestellt?“ frage ich sie. Sie blinzelt mir nur zu, als ob sie sagen wollte: „Bist du aber blöd. Schau doch mal genauer hin.“
Also werfe ich einmal einen genaueren Blick in die Küche, schlage die Hand vor den Mund und bin vollkommen fassungslos. So ein kluges Engelchen! Ich komme nicht umhin, vor Stolz fast in Luft aufzugehen. „Hast du das ganz alleine gemacht?“ frage ich sie. Sie grinst mich an, putzt den letzten Fleck Tinte von der rechten Zeigekralle und legt ihren Schwanz um die nun vollkommen sauberen Vorderpfoten. Ich bin wohl ein wenig zu früh heim gekommen. „Das muss ich festhalten!“ rufe ich aus und eile zur Kameraschublade.
Leer. Vollkommen leer. Mir schwant etwas. Auf der Stelle mache ich kehrt und folge der Spur in mein Arbeitszimmer. Ü-ber-all Tinte. Und was liegt da, auf dem Schreibtisch? Die Kamera! Ich muss fürchterlich lachen. Sie wird doch wohl nicht …? Doch, sie hat, ganz eindeutig. Sogar der Rechner ist an, die CF-Karte steckt im dafür vorgesehen Slot, Photoshop läuft und zwei Bilder mit ungewöhnlichen Dateinamen sind geöffnet: fuer-lieben-Menschen_1.jpg und fuer-lieben-Menschen_2.jpg. Ich wundere mich laut. Für welchen lieben Menschen wohl? Was das Ganze wohl bedeuten mag?
Das kleine Mädchen springt auf den Schreibtisch und schnurrt mich mit halb geschlossenen Augen zufrieden an. Ich kraule sie hinter den weichen Ohren und frage sie, was ich nun mit den Bildern tun soll. Sie schnuppert an den Monitoren, schaut mich an und maunzt fordernd. „Ehrlich, ins Internet?“ Sie schnurrt ein deutliches „Na klar doch!“
Ich bin zwar völlig verwirrt, frage mich, wer da was mit dem kleinen Mädchen ausgeheckt hat, aber ich kann ihr einfach nichts abschlagen.
Also, mein Engelchen, dein Wunsch ist mir Befehl, auf dass deine Botschaft seinen Empfänger erreicht! Hier sind die Bilder:
Mittwoch, 25. Oktober 2006
Einmal Berlin und zurück – oder: Ein Tag mit Bundesweh
Folgende zeitlich strukturierten, langatmig geschilderten Begebenheiten trugen sich am Donnerstag, den 19. Oktober 2006 zu und protokollieren den Wahnsinn, der durch erschöpfte Flug-Kontingente bei kurzfristigen Dienstreisen entstehen kann. Sollten Sie das alles wirklich lesen wollen, empfehle ich gute Hintergrundmusik zwecks Unterdrückung plötzlich auftretender Langeweilezustände. Die zeitlich versetzte Veröffentlichung ist in herzinternen Pietätsfragen begründet.
04:00 Uhr, Kaffee kochen, Fellchen füttern, Reportage über REM auf Euronews zum Wachwerden missbrauchen. What’s the frequency, Kenneth?
04:31 Uhr, das Telefon klingelt. „Sind 20 Minuten früher da!“ Dann aber schnell ohne Kaffee in die Klamotten steigen und Makeup auf die Schlaffalten schmieren, schlafwarmen Poschisten goodbye knutschen – und hinaus in die unsittliche Vier-Uhr-achtundvierzig-Welt.
06:11 Uhr, Truckerfrühstück für 4,99 Euro. 25 Gramm Leberwurst kosten hier unglaublich günstige 1,10 Euro extra, Margarine lächerliche 70 Cent. Die Wiedereinführung von kostenintensiven Eselskarren zwecks Warentransport muss mir entgangen sein. Ein kaffeeschwappendes Hoch auf Rastplatzpreise!

07:41 Uhr, die Sonne traut sich zaghaft hinter der Dämmerung hervor. Noch 365 Kilometer Rücksitzbankdrücken. Der Hintern ist mir soeben eingeschlafen, wie schön. Das wird noch ein ausgesprochenes Freudenfest, ich ahne es bereits.
08:53 Uhr, der Webmaster nimmt vor lauter Langeweile den Signum auseinander. El cheffe nuevo wird genötigt erste Reparaturarbeiten durchzuführen. Gemeinsam definieren wir das Wort „Hörbuch“ neu.

08:59 Uhr, Königslutter. Der Verkehr fließt. Die Blase drückt. 2 Drittel geschafft.
10:35 Uhr, Berlin, Berlin! Die sonore Naviweibsstimme verkündet 6 Kilometer Stau voraus. Das erste Mal Spreeblick. Meine Augenringe nehmen überdimensionale Ausmaße an. Ah, da isser ja, der Stau. Ick freu mir so!
10:51 Uhr, Ankunft. Naja, fast. Wir müssten nur noch einen Parkplatz finden. Ist fast wie in der Bonner Südstadt hier, nur mit rund 600 Kilometer Unterschied, weniger Beschaulichkeit und wesentlich mehr Satellitenschüsseln. Die Weggefährten sinnieren über vertane Frühstückschancen und wundern sich ausgiebig über witzige Hausnummernsprünge der Chausseestraße. Thats entertainment, baby.
11:02 Uhr. Das Ziel immer noch nicht gefunden, ganz zu schweigen von einem Parkplatz. Lost im Herzen Berlins. El cheffe nuevo erwägt, das Fahrzeug zu verlassen und per pede das Ziel ins Visier zu nehmen. Wir nähern uns bedenklichen Nervenzuständen.
11:12 Uhr, Zielort und Parkplatz gefunden. Jetzt aber schnell.

16:28 Uhr, done. Der Kopf raucht. Die Besprechung war unfassbar fruchtbar, eine seltene Erscheinung sachlicher Konstruktivität, für die sich die Reise tatsächlich gelohnt hat. Jetzt freu ick mir wirklich. Nun ab nach Hause. Aber zackig jetzt.
16:44 Uhr, sagte ich zackig? Muah-haha. Schönen Feierabendverkehr hat’s hier. Nicht, dass wir mit etwas Anderem gerechnet hätten [hier bitte resigniertes Seufzen audiovisualisieren] … Dass der GEZ-Gebühren-Beschluss durch ist, macht die Situation auch nicht besser: Argh.
17:21 Uhr, bye bye Berlin. So gerne ich auch in dir bin: jetzt, just in diesem Moment, bin ich einfach nur saufroh, deinem Stau, deinem Smog – dir – den Rücken gekehrt zu haben. Oh du mein geliebtes Rheinland, ich komme, ich eile!
18:38 Uhr, pappsatt. Cheeseburger, Chickenburger, Beef Lang Zu, Fritten (rotweiß, wie es sich gehört), Vanielleshake. Ich war ein kleines bisschen hungrig. Noch 467 Kilometer. Mein Sitzfleisch hält wiederholt ein Nickerchen.
20:19 Uhr, apropos Nickerchen. Augen werden schwer, mir ist fürchterlich langweilig und ich fühle mich aufgrund dessen hochgradig gestresst. Ich mag nicht mehr beisitzen, schon gar nicht in der letzten Reihe. Werde ausgesprochen quengelig. Sind wir jetzt bald da-aaa? Ich will ein Eis und muss mal.
22:45 Uhr, Home Sweet Home. Keine Kraft mehr für weitere ausufernde Situationsbeschreibung. Bett ruft.
Knapp 18 Stunden unterwegs mit Bundesweh. Was ein Tag.

Neulich in der Redaktion (2)
Also ich hab noch nie ’ne Blase vom Pusten gekriegt.
Aber Pusteln vom Blasen!
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