Er war so verliebt. 2 Jahre älter als ich, 30 Zentimeter größer als ich, mindestens 15 Nuancen dunkler als ich. Er wirkte schon so erwachsen wenn er mich schüchtern anlächelte, und ich konnte nicht anders, als zu ihm aufzuschauen und mich noch kleiner zu fühlen, als ich es eh schon war. Es war Sommer, die heiß ersehnte Ferienzeit am Meer, und ich trug eines dieser ausgebeulten T-Shirts, die man Mitte der 90er noch trug. Wir waren allein in der kleinen Wohnung, und ich knetete nervös den Stoff an der Stelle, wo das häufige Waschen die Faltkante bereits porös gemacht hatte. Ich hoffte, er würde es nicht bemerken.
Gehen wir?
fragte er und hielt mir lächelnd seine Hand entgegen. Ich starrte einen Moment erschrocken auf dieses ausgestreckte Körperteil und suchte eine Möglichkeit, nicht zugreifen zu müssen. Er grinste verlegen, griff mit seiner großen aber schlanken Hand nach meinem Rucksack und reichte ihn mir mit einem kleinen Zwinkern. Ich lächelte tapfer, nahm mir ein Herz und verließ die Wohnung. Zu Fuß machten wir uns auf den Weg ins Kino.
Kino! Das erste Mal alleine! Alleine mit einem Jungen der Interesse an mir zeigte, alleine in einer Stadt, die ich nur bei Tageslicht kannte. Meine Gedanken fuhren Achterbahn – war es richtig, was ich da tat? Sollte ich wirklich ins Dunkel mit ihm – mit ihm, den ich zwar sehr mochte, der aber mein Herz nicht zum Pochen brachte?
Als ich mir endlich sicher war, dass ich mich völlig falsch entschieden hatte, standen wir schon am Ticketschalter und er reichte der Kassiererin einen verknitterten 20-Mark-Schein, um unsere Tickets zu bezahlen.
Während Bruce Willis Bösewichte quer durch New York jagte, gab ich mich betont filminteressiert, rauchte eine Zigarette nach der anderen, und um uns beide zu beeindrucken trank ich ein Bier. Ich beobachtete ihn aus dem Augenwinkel dabei, wie er mich beobachtete, und fühlte mich schäbig.
Auf dem Heimweg fanden wir einen Wellensittich am Straßenrand. Er nahm ihn vorsichtig in beide Hände und flüsterte ihm seinen neuen Namen. Es war meiner.
In den folgenden 2 Wochen sahen wir uns jeden Tag, malten kleine Comics in den Sand und erzählten uns erdachte Geschichten. Seine vorsichtigen Annäherungsversuche perlten an meinem Panzer aus Freundschaft ab und wurden immer seltener. In mir keimte die Hoffnung, er hätte aufgegeben, es vielleicht doch nicht so ernst gemeint. Doch als ich morgens um halb 4 auf der Beifahrerseite Platz nahm, um die lange Heimfahrt anzutreten, stand er plötzlich im Dunkeln neben mir. Noch viel zu müde und völlig verwirrt blickte ich auf die plötzlich so klein wirkende Gestalt, die sich verloren in den Nacken griff und den Blick gen Boden senkte.
Er weinte still, als er mir durch das halb heruntergelassene Fenster einen kleinen Umschlag reichte, berührte wie zufällig meine Hand und schenkte mir sein Herz – dort, am Straßenrand, wo wir schon den Wellensittich fanden. Ich ließ es liegen. Und blickte nicht zurück.
Gerade habe ich wieder an ihn gedacht. Ich wüsste gerne, wie es ihm heute geht. Und ob er mir noch böse ist.