Montag, 2. April 2007
Wo ein Wille ist … (2)
Ich rufe sie an; noch während des Klingelns denke ich, dass ich mich schon lange nicht mehr gemeldet habe, freue mich trotzdem insgeheim schon auf ihre begeisterte Alltags-Schilderung. Anfang des Jahres telefonierten wir das letzte Mal, da lachte sie mir ins Ohr Du wirst es nicht glauben, ich habe einen Job!
, und wir schnatterten ganz aufgeregt über ihre Möglichkeiten, die sich jetzt ergeben.
Sie klingt fröhlich, als sie das Gespräch annimmt, wir reden 1, 2 Minuten über das Lange-nicht-mehr-Telefonieren, über die Sonne, über die kleine Vivi, die ja schon so groß ist und im Kindergarten erfolgreich Jungensherzen erobert – bis ich sie frage, was der Job macht. Ach, das weißt du ja auch noch nicht!
seufzt sie in mein Ohr, Die haben mich direkt gefeuert.
. Kurze Stille in der Leitung, ein „Wie, die haben dich gefeuert?“, und sie beginnt zu erzählen.
Pünktlich zu Beginn der Probezeit ist Vivi krank geworden. Keine einfache Erkältung, kein simples Wehwehchen, sondern eine richtige Lungenentzündung hatte die Kleine. Es ging ihr so schlecht, dass Steffi sie nicht in den Kindergarten bringen, sie nicht alleine lassen konnte. Ein Anruf beim Arbeitgeber, ein eindringliches, hoffnungsschweres Erklären der Situation – das war das Erste, was Steffi tat, noch bevor sie Vivi kühlende Wadenwickel anlegte. Die Reaktion war freundlich, verständnisvoll, mutmachend; sie solle sich direkt wieder melden, wenn sie ihr Wiederkommen absehen könnte.
Als Steffi wenige Tage später genau diesen Anruf tätigte, schnitt ihr ein kaltes Das hat sich erledigt, wir können Sie hier nicht brauchen.
das Wort ab und ließ Steffi mit ihrer Hoffnung, mit ihren Wünschen und ihrer Zukunft alleine.
Sie jobbt jetzt nebenbei in einer Bäckerei. Etwas hinzuverdienen, in Bewegung bleiben, guten Willen zeigen.
Nachdem wir auflegen hallen mir ihre Worte, ihre Situation im Ohr. Und wieder ist mir ein kleines bisschen schlecht, weil ich niemanden direkt verantwortlich machen kann dafür, dass Steffi als junge Mutter ihren Weg vor lauter Steinen nicht gehen kann.
Ich hatte auch zuerst das Bedürfnis dem Mann einfach mal kräftig gegen den Unterleib zu treten. Dummerweise ist er vermutlich genau so ein Opfer seiner Situation - ich glaube es gibt nur noch wenige Arbeitgeber, die so dem alten monarchischen Führungsstil frönen, dass sie aus purer Gehässigkeit jemanden so hängen lassen.
Vermutlich kann er es sich einfach nicht leisten. Hat vielleicht schon diverse Male erlebt, dass mit ähnlichen Argumenten Angestellte wochenlang fehlten und ist gezwungen, kalt zu werden.
Aber da wird das System echt komplex - und schwer zu durchschauen und verändern. Ich empfehle übrigens (wieder mal) die Lektüre der aktuellen Brand Eins.
Passt gut zum Thema. Macht nur leider nicht fröhlicher.
(Ok, vielleicht ist der Typ auch einfach nur ein Schwein, dem man mal kräftig gegen den Unterleib ....)
Ich denke du hast Recht, das Thema ist verdammt komplex. Mir fällt das schwarz/weiß-sehen hier unheimlich schwer – es gibt ja wirklich kaum eine kleine Firma, die Dauerausfälle von Mitarbeitern tragen kann. Und wenn solche Dauerausfälle genau das sind, was nach so einem schlechten Start befürchtet wird, kann ich die andere Seite schon irgendwo verstehen.
Womit wir wirklich wieder beim System wären. In einem System, was es einer jungen Mutter nicht erlaubt, für ihre kranke Tochter dazusein, in einem System, was keine Möglichkeit bietet, ein krankes Kind in verlässliche Obhut zu geben, in einem System, das Arbeitgebern keine Möglichkeit bietet, solche Ausfälle zu kompensieren … in so einem System bleiben Menschen wie Steffi auf der Strecke.
Du bist der Baum. Du bist Deutschland.
Komplexität hin oder her, so wie der Vorfall erzählt wurde, habe ich (obwohl nicht Arbeitgeber unfreundlich) kein Verständnis für ein solches handeln. Es ist menschenunwürdig. Jeder hat zumindest die Möglichkeit seinen Weg zu wählen, wie er mit Menschen umgeht.
"gezwungen kalt zu werden"? Sorry, soll das eine Rechtfertigung dafür sein, einer jungen Mutter Hoffnung und Zukunft zu rauben (vor allem die Vorgehensweise ist mehr als mies)? Ich habe für manches Verständnis, dafür definitiv nicht.
Nur die Verzeiflung darüber, dass es meist etwas komplexer ist, als es erst einmal wirkt.
Klar kann sich jeder aussuchen, wie er mit Menschen umgeht. Aber oft nicht, warum er irgendwie mit jemand umgehen muss.
Aber man weiß nie, was genau hinter so einer kalten Absage steckt, solange man den Menschen und seine Motivation nicht kennt, der hier so kalt die Zukunft einer jungen Mutter zertrampelt hat. Will sagen: Es fällt mir schwer gegen einen einzelnen Menschen zu wettern, solange ich nicht alle Fakten und Hintergründe geprüft habe. Und da ich dazu keine Möglichkeit habe, bin ich gezwungen, nur traurig den Kopf zu schütteln und mit meiner Magensäure zu kämpfen.
Jetzt sind also die kleinen Racker dran. Deutschland mehre dich, mach der Welt viele fleißige, gut gelaunte Nachwuchssteuerzahler; am besten noch, bevor wir einen Plan haben wie wir sie alle in Kindergärten unterbringen und Schulsystem-Defizite interfamil
Aufgenommen: Samstag, 5. Januar 2008