Mittwoch, 8. November 2006
Spannungsbogen
Manchmal ist es geradezu hochinteressant, sich selber zu beobachten. Insbesondere während einer recht lang anhaltenden „Alles was ich anfasse, verkommt zu einem kleinen Häufchen Asche“-Phase. Denn im Laufe einer solchen folgt die Art der Reaktion auf unglücksame Ereignisse einer ganz eigenen Dramaturgie.
Stufe 1: Die „Huch, wasn nu los“-Phase
Dir fällt auf, dass sich unglücksame Ereignisse häufen und legst verwundert den Kopf schief. Sicherheitshalber kontrollierst du alle in deinem Besitz befindlichen Spiegel auf womögliche Bruchstellen. Da du keine finden kannst, bist du guter Hoffnung und wartest geduldig auf Besserung.
Stufe 2: Die Zorn-Phase
Du denkst dir „Das darf ja wohl nicht wahr sein!“ und wetterst gegen die Welt und das Leben, die es beide nicht gut mit dir meinen. Du läufst wutschnaubend durch die Wohnung und brüllst Blumentöpfe an, weil sie da so faul und aalglatt rumstehen, während du hektisch versuchst, den Schaden zu begrenzen.
Stufe 3: Die Trotz-Phase
Du erkennst, dass Zorn dir das Leben nur noch schwerer macht und beginnst, über weitere unglücksame Ereignisse zu lachen, und das aus Prinzip. Du machst dich über die Häufung von Rückschlägen lustig und fragst herausfordernd, ob da nicht noch mehr ginge. Du benutzt von hysterischem Lachen begleitete Sätze wie „War ja klar“ inflationär.
Stufe 4: Die Armes-Ich-Phase
Du streckst die Hände von deinem Körper weg und stellst dem ratlosen Mann an deiner Seite wiederholt die Frage „Womit hab ich das verdient?“, wahlweise auch „Wird das denn nie enden?“. Du bedauerst dich reichhaltig zu jeder sich bietenden Gelegenheit und stellst dich schon rein intuitiv immer genau an der Kasse an, an der die Rolle gewechselt werden muss.
Stufe 5: Die Trauer-Phase
Du hast keine Kraft mehr, dich selber zu bedauern und bist einfach nur noch traurig. Dein Kopf ergibt sich kampflos der Erdanziehungskraft und baumelt bar jeglicher Motivation von deinen Schultern herab. Du kniest auf dem Boden vor Parkhäusern des Bundesministeriums der Verteidigung, um ausgiebig sterbende Hummeln zu beweinen.
Stufe 6: Die „Dann is et halt so“-Phase
Du ergibst dich in dein Schicksal und empfindest die Leere in deinem Inneren als ausgesprochen angenehm. Frisch angebrachten Vlies-Tapeten, die auf dem Putz befindliche Notizen durchscheinen lassen und dich zum ungeplanten Anstrich des Raumes zwingen, entgegnest du schulterzuckend. Du schenkst Möbelhausmitarbeitern, die deine Matratze nach wochenlangen Verzögerungen in der falschen Größe liefern, keine bösen Worte, sondern ein nettes, politisch korrektes Lächeln. Es ist dir überraschend wurstbrot, dass dir kein guter Schlusssatz für einen Blogeintrag einfällt.
Aber sollte es mir etwa zu denken geben, dass ich diese vier Phasen derzeit alle gehäuft und vor allem gleichzeitig durchlebe?
Und wo bleibt Phase 6? Will auch...
Nummer 7 will ich mal als Kokon bezeichnen: Neben der Couch muss der beste Mitbewohner von allen möglichst rechtzeitig Kekse, Schokolade, Kakao, Schokolade, Pizza, Chips, Schokolade, Fernbedienung, Lasagne, genügend DVDs, Schokolade, Schnitzel usw (erwähnte ich Schokolade?) anliefern und den Müll entfernen.
Die Couch wird nur verlassen, um die vom Körper nicht verwertbaren Reststoffe wieder abzugeben (known as "pullern")
Alles ausserhalb dieses Kokons wird ausgeblendet. Und wenn einem dann wirklich, also so wirklich wirklich alles egal ist, was ausserhalb des Kokons ist, dann kann die nächste Phase beginnen. So sagt man.
Phase 8: Wie in jedem liegengelassenen Briefstapel erledigt sich auch im Leben vieles, was nur lange genug liegt.
Wenn man lange genug im Kokon (formerly known as Couch) war, passiert das mit vielem.
Man kann wieder die Augen öffnen, die Katze und den Sonnenschein begrüßen und etwas tun. Etwas kleines. Und sofort erst einmal wieder zurück auf die Couch. Und es klappt sogar. Geht nicht kaputt.
(Und seitdem ich angefangen habe, zu tippen, überlege ich, ob ich mir die Schlusspointe wirklich bringen kann.)
(Ach, scheiss was drauf)
Wie schade, dass Ihr auf der Couch ja schon die Matratzen liegen habt und kein Kokon Platz hat ;-)
Sarwas?
Ich grüß hier mal ausnahmsweise den Poschisten. ;-)
Kenne die Phasen alle. Gut. Samt Kokon. Vor der Schokoladeversorgung kommt aber die mitunter recht lang ausfallende 'Ich kann nicht'-Phase des AnDieWandStarrens, besser bekannt als 'Pffffffff.'
ich melde mich zurück aus einer Mischung aus (wie ich anteilig dank euch gelernt habe ;)) Stufe 6.5, 7, 8 und 9. Jarwoll.
Stufe neun ist übrigens der Zeitpunkt, an dem man das dringende Bedürfnis hat etwas (und auch gerne etwas mehr) zu schaffen, und sei die Gefahr noch so groß, dass man damit wieder Unglück anzieht. Das sind dann die Momente, in denen einem der Hintern vom Couchpressen so dermaßen wund ist, dass man aufspringt und tagelang Fenster putzt, Wäsche wäscht, überall schrubbt und wienert, bis einem die Finger bluten und das Leben um einen herum in einem wunderbaren Glanz erstrahlt, in dem man sich dann ganz vorzüglich sonnen kann ;)
Bina:
Stufe 6 erreicht man imho dann, wenn die Psyche Anlass sieht, einen Riegel vorzuschieben – bevor man sich in einer dunklen, gekachelten Ecke, mit dem Oberkörper vor- und zurückschwingend und „Lass mich wippen“ vor sich hinmurmelnd, wiederfindet. Überspannungsschutz, sozusagen. Ich glaub nicht, dass du das wirklich willst, oder? ;P
Christian:
Watt hast du für ein Glück, dass ich über eine Menge Galgenwer verfüge *kicher*! :D
Vorstefflich deine Beschreibung des Kokons. Ich danke sehr!
Tobias:
Danke. Und danke! :)
Etosha:
Stufe 6.5: „Pffffff.“ – sehr schön! Jahahaaa, das kann ich bestätigen. Hat bei mir allerdings nicht so lange angehalten. Aber wer weiß, vielleicht lebe ich sie in der nächsten Runde ja vollends aus – so wie ich mein Glück kenne, kommt die noch früh genug :D
Ich freu mich. Die „Alles was ich anfasse, verkommt zu einem kleinen Häufchen Asche“-Phase hat eine erneute Erweiterung erfahren. Das versetzt mich in die glückseelige Lage, Stufe 10 erleben zu dürfen. Ihr fragt: Wasn nu schon wieder. Ich sach: Ich
Aufgenommen: Mittwoch, 20. Dezember 2006