Samstag, 10. Dezember 2005
Perspektivenverschiebung bei Gewichtsverlust
Es ist schon ein leicht merkwürdiges Gefühl, einen neuen Körper zu besitzen. Nun gut, er ist nicht wirklich neu, und das im zweifachen Sinne nicht: erstens habe ich ihn schon fast 2 Jahre, zweitens ist es natürlich der alte, nur um 20 Kilogramm leichter – und daher wie neu.
Nun, ich war nie das, was man landläufig als fett, unförmig oder übergewichtig bezeichnen würde, jedoch war ich ganz schön proper. Insbesondere mein Hintern diente als Ablagerung sämtlicher Wintervorräte und war daher schon ab Unterstufenzeiten ein wunderbares Mittel, mir verbal in den Besagten zu treten.
Kreativ waren die lieben Klassenkameraden! „Brauereipferd“ war da noch harmlos, FAA, kurz für „Fettarsch-Alien“, tat schon mehr weh; was aber am schlimmsten stach, waren die hämischen Blicke und die ständige Thematisierung meines Hinterteils. Klar, dass nicht mein Hintern, sondern ich, meine Art, der Auslöser war, aber das war mir damals nicht bewusst.
Ich litt also, erst unter dem Gepiesacke der Mitschüler und manchmal gar der Freunde, später dann, als pubertäres Gehabe nicht mehr allzu gefragt war, ganz simpel unter mir. Einen ganzen Arsch voll Komplexe (Haha!) schleppte ich mit mir herum, ankonditioniert, gepflegt und gehegt über Jahre.
Ich fühlte mich aufgequollen, unförmig, unansehnlich. Einkaufen war ein Fiasko, immer tränenreich und wahnsinnig frustrierend. Partys. Oh, Partys waren auch schlimm. Ich beneidete diejenigen, die sich richtig gehen lassen konnten, die frei von sich und anderen über die Tanzfläche schwebten, während ich meist eine Position suchte, die meinen Hintern vor Blicken schützte und nur selten in der Lage war, mich loszulassen. Schwimmbäder waren für mich tabu. Ich schämte mich für mich, machte mir ununterbrochen Gedanken darüber, dass andere Menschen mich vielleicht hässlich finden könnten.
Was mich immer ganz besonders auf die Palme brachte, waren Gespräche schlanker Mädels, die immer etwas an sich auszusetzen hatten, auf ihren (für mich unerreichbar schönen) Bauch zeigten und sagten „Boah, ich muss dringend abnehmen", ihre Beine für zu fett befanden oder bemäkelten, ihre Arme würden während des Winkens fürchterlich schlackern.
Und wie das meist ist, fraß ich den Kummer in mich hinein, nahm dann wieder mittels einer Crash-Diät ab, verfiel kurz darauf wieder in Kummerfressverhalten undsoweiterundsofort, machte es mir und meinem Gewebe immer schwerer (Ha! Haha!).
Dann, vor etwas mehr als 2 1/2 Jahren, war irgendetwas in mir herangereift und aus dem „ich möchte abnehmen“ wurde ein überzeugtes „ich werde abnehmen“. Ich setzte mich das erste Mal ernsthaft mit gesunder Ernährung auseinander, zwinkerte geschlossenen Schokoladenverpackungen fröhlich zu, achtete auf angemessene Portionsgrößen und hielt mich ganz genau an meine Vorgaben. Es funktionierte. Ich nahm zwar nicht rasend schnell, aber doch recht flott ab, und nach 9 Monaten war ich an meinem Ziel angelangt: Ich fühlte mich wohl.
Daraufhin passte ich mein Nahrungspensum so an, dass ich mein Gewicht hielt. Über die Zeit des Abnehmens wurde ich immer zufriedener mit mir und konnte schlussendlich Frieden mit meinem Körper schließen.
Es brauchte noch einige Zeit, bis ich wirklich verinnerlicht hatte, dass mich das, frei von jeglicher Übertreibung, zu einem anderen Menschen gemacht hat. Dass mein Selbstbewusstsein heute ein echtes ist, kein demonstrativ aufgesetztes mehr.
Gestern, auf dem ganz wunderbaren „Wir sind Helden“-Konzert, da war ich frei. Nicht das erste Mal seitdem, doch wurde mir wieder bewusst, was für ein unglaublich gutes Gefühl es ist, einfach gedankenverloren zu tanzen, zu singen oder was auch immer, ohne Angst zu haben, anderen als Belustigungsobjekt zu dienen. Mich einfach wohl zu fühlen in meiner Haut. Ich bin mittlerweile so weit weg von dem unsicheren Ich von damals, dass ich mir einfach keine Sorgen mehr über fremde Meinungen bezüglich meines Äußeren mache.
Doch Frieden mit meinem Körper, das heißt nicht, dass es da keine Spannungen geben würde. Natürlich habe ich immer wieder etwas an mir auszusetzen. Hier noch ein Pölsterchen zuviel, da noch ein Röllchen zu dick, hier noch eine Kurve zu ausgeprägt. Und sage Sätze wie die Mädels, die ich damals so hasste.
Als ich einmal eine solche Aussage gegenüber einer Freundin, die ein wenig mehr gepolstert ist, traf, sah ich es in ihren Augen. Sah das, was ich damals fühlte, als die schlanken Mädchen über ihre fetten Oberschenkel weinten: „Wenn du schon an deinen Oberschenkeln was auszusetzen hast, was soll ich dann bitte sagen?“ Ich tat ihr mit dieser unbedachten Äußerung weh, gab ihr das Gefühl, unförmig zu sein.
Dabei wollte ich ihr keinesfalls wehtun, schließlich habe ich diese Spannung ausschließlich mit mir persönlich. Würde ich einer Frau mit meiner Figur gegenüberstehen, würde ich ihr sicherlich genauso den Vogel zeigen, wie meine Freundin mir den Vogel zeigte. Dinge, die ich an mir heftig kritisier(t)e, fallen mir bei anderen erst gar nicht auf. Ich gehe mit mir selber immer härter ins Gericht, als mit meinem Umfeld – und wesentlich härter, als mir gut tut.
In der Annahme, dass es vielen Menschen so geht, muss ich mich wohl bei den Mädels von damals zumindest gedanklich entschuldigen. Ich nahm immer an, solche Aussagen dienen alleine dem Zwecke, anderen das Gefühl von Unzulänglichkeit zu vermitteln oder egopinselnde Reaktionen hervorzurufen. Heute weiß ich, dass auch schlanke Menschen Details ihres Körpers ernsthaft kritisieren können, ohne Andere damit abwerten oder verletzen zu wollen. Das klingt vielleicht nicht gerade nach einer überraschenden Erkenntnis – für mein immer noch 20 Kilo schwereres Ich war es aber genau das.
Aber selbst jetzt denk ich noch oft, dass da zuviel dran ist - am Hintern und den Oberschenkeln - wo sonst.
Klar, mit sich selber geht man immer härter ins Gericht. Danke, dass sie das mal gesagt haben. Ich glaub, dass war die Bratpfanne, die ich jetzt gebraucht hab :)
wahrscheinlich könnten hundert männer einer frau sagen wie wunderbar gutaussehend umwerfend schön, gutgebaut, sexy, ... (nach belieben zu ergänzen) sie ist - wenn an der falschen stelle noch ein paar milimeter zu viel siund, dann sind da eben ein paar milimeter zu viel.
(und jetzt tauschen wir in dem satz jeweils 'frau' gegen 'mann' und umgekehrt. ist ja gar nicht frauentypisch.)
ich glaube, ich habe auch elle 'the body' mcpherson mal über ihren körper motzen gehört.
tja, selbstwahrnehmung ...
Seit ich eine wirklich glückliche Beziehung führe habe ich ordentlich was zugelegt (jetzt 90kg) und fühle mich erstmals wirklich wohl in meinem Körper.
Sie hat mir auch beigebracht meine Selbstbetrachtung mal von ganz anderer Seite aus zu sehen. Und zwar dadurch, dass sie mir ab und zu sagt, wen sie als gutaussehend empfindet.
Das war am Anfang sehr verwirrend, da dich diese Typen sehr von dem unterschieden, was ich so als Ideal gesehen habe. Endlich kann ich auch einfach nur mal KERL sein. Mal ein paar Taage unrasiert durch die Stadt streifen und muss auch meine harten Seiten nicht immer unter dem (sicher von meiner Mutter ("...wenn du die Haare etwas länger hättest, würdest du aussehen wie dieser Leonardo Dekapro, oder wie der heißt..."), "Nein Mama würde ich nicht, ich würde total bescheuert aussehen...") anerzogenen Softie-Mantel verbergen.
Sehr gerne. Ich muss mir die auch regelmäßig um die Ohren hauen: immer kurz bevor ich wieder ins Unglücklich-mit-mir-sein verfalle.
Christian:
Ja, das habe ich auch (Ich mein zumindest, dass es Frau McPherson war) gehört und dabei die Augen verdreht, dass es weh tat. Es fällt immer ein wenig schwer, so einem gestochen-bildschönen Menschen Unzufriedenheit oder gar Selbstzweifel zuzutrauen - oder vielleicht eher zuzugestehen?
eon:
Ja, die unbewusste Prägung von außen. Die kann einen über einen gewissen Zeitraum so verdrehen, dass man sich selber nicht (mehr) kennt. Schönes Gefühl, da raus zu sein, nicht?
Alle:
Und jetzt danke ich euch Allen, auch den Stillen, einmal ganz lieb. Es bereitet mir doch unheimlich großen Spaß, das hier leben zu sehen. Dankeschön :)
Da sagt der Arzt Anfang März, das mit dem Sport, das würde er ja lieber lassen. Also lies ich. Ich bin generell ein hungriger Mensch, koche nur zu gerne, und das nicht erst seit März. Also aß ich. Da mir der Sport genommen wurde, die Arbeit reichlich
Aufgenommen: Montag, 5. Mai 2008