Montag, 4. Juli 2005
Apropos Überreizung
Es ist ja nicht nur dieses „Allzeit bereit“-Verhalten, es ist auch das mediale Umfeld, das die Überreizung stetig füttert, die Realität aufbläst.
Film und Fernsehen sind so brillant, die Farben zu kräftig, der Ton zu dicht, das Bild zu schnell, die Auswahl zu groß. Diese künstliche Brillanz, deren Existenz uns die Flimmerkiste vorgibt, lässt das Leben – die echte Sicht – farblos, fast grau erscheinen.
Übertriebene Bildbearbeitungglättung schafft ein neues, nicht erreichbares Idealbild einer weiblichen Figur, machen aus normaler Hautstruktur eine beheulenswerte Cellulitis und aus Lachfältchen ein Gesichtsfiakso.
Ich frage mich, wohin wir uns damit noch selber schrauben.
Mir blieben als Kind noch brillant-bearbeitete Abbildungen erspart, ich habe da gerade noch normale Konterfeis und realitätsnähere Welten anhimmeln können. Trotzdem seufze ich heute innerlich beim Anblick einer hüftlosen FHM-Barbie und schaue leicht frustriert auf mein Spiegelbild.
Was ist aber mit den Mädels und Jungs, die jetzt auf der Suche nach Vorbildern sind und nur vermeintlich Perfektes serviert bekommen? Wie hoch wird da der Grad deren eigenen gefühlten Unzulänglichkeit sein? Oder können die noch hinter die Illusion blicken? Das wünsch ich ihnen von ganzem Herzen.
Weiter geht’s mit den Nachrichten: immer schneller, brutaler, sensationeller. Natürlich nicht nur die Nachricht an sich, sondern auch das dazugehörige Bild.
Ich muss keine schreiende, blutende Frau sehen, die versucht ihr Kind aus der Feuerzone zu ziehen, um zu wissen, wie unfassbar schlimm ein Krieg sein kann. Ich muss nicht sehen, wie ein Mann von den Fluten mitgerissen und an einer Brücke zerquetscht wird, um zu erfassen, wie verheerend eine Flut sein kann. Ich muss auch nicht sehen, wie ein Elefant totgeschlagen wird, um zu verstehen, dass einem Tier unglaubliches Leid angetan wird.
Solche Bilder werden ohne Vorwarnung zu Tageszeiten einfach gesendet, ungeachtet dessen, dass vielleicht Kinder (zwar liegt die Verantwortung hierfür in erster Linie bei den Eltern, nur können die auch nicht immer zur Stelle sein, somit liegt das durchaus im Verantwortungsbereich der Sender) oder feinfühligere Menschen vor dem Fernseher sitzen. Mit der Zeit stellte sich bei mir eine Verrohung ein, der Entschluss, nicht mehr bei jedem Leiden mitweinen zu wollen, ließ mich ein wenig erkalten. Heute kann ich 5 Minuten nach dem Schock, den mir solche Bilder zufügen, wieder lustig Witze reißen und könnte mich dafür selber ohrfeigen.
Was ist aber mit den Kindern, die mit solchen Bildern aufwachsen? Wird so nicht Gewalt und Leid zu etwas Alltäglichem? Sind die Kids, die sich selber begeistert dabei filmen wie sie Passanten grundlos vermöbeln, schon ein Resultat aus dieser Verrohung? Diese Entwicklung macht mir Angst.
Von der Gewalt zur Sexualität in Wort und Bild: Einige Komödianten und mittlerweile auch Moderatoren scheinen sich ein Wettrennen im Gebrauch von Wörtern wie „ficken” zu liefern, überbieten sich gegenseitig im Einsatz von Fäkalsprache. Nicht, dass ich da ein Engelchen wäre, aus meinem Munde entweichen schon des öfteren derbe Worte. Weil sie für mich ein Ventil sind, nicht um ihrer selbst willen. Und das ist der Eindruck, den ich von im-Fernsehen-Sprechenden habe: Ficken sagen auf Teufel komm raus. Weil man das ja jetzt so macht, weil „Scheiße” ja schon lächerlich normal ist.
Letztens, bei Galileo (ein Format, dass ich etwas ältere Kinder, hätte ich welche, durchaus hätte schauen lassen), fühlte ich mich doch bei meiner vorabendlichen Nahrungsaufnahme ein wenig gestört. Da musste unbedingt getestet werden, ob der männliche Puls angesichts eines heißen Fräuleins ebenso steigt, wie der männliche Puls während eines Jogginglaufes. Einmal ganz abgesehen, dass ich den Sinn dieser Messung aufgrund des Vergleiches schon als abwegig empfand, brachte mich das Fräulein geradezu auf die Palme. Bekleidet mit einem kleinen String und brustwarzenbedeckenden Klebestreifchen tanzte sie an der Stange was das Zeug hielt. Die Kamerafahrt erkundete ihren Körper als wäre sie ein Blick. War ganz nah an ihren leicht geöffneten Lippen und spielte mit ihr. Zu viel. Zu viel, um im Vorabendprogramm gesendet zu werden. Da kann man mich ruhig für altmodisch halten, aber mich lässt sowas sauer aufstoßen. Ich mag einfach nicht unerwartet während meines Salatgenusses zwischen fremde Frauenbeine gucken.
Ohne das jetzt vollständig auszuführen: manchmal wünsche ich mir eine Art Resetknopf für die Menschheit. Diese Spirale der Überreizung an jeder Ecke zu beenden. Zurück zu den 50ern, mit dem Wissen von heute, es nicht wieder so weit kommen lassen. Wie absurd.
Was Reportagen angeht: da bin ich wirklich wahnsinnig froh, Premiere zu haben und Discovery Channel, Discovery Geschichte und (für mich sowieso das Sahnehäubchen zum entspannten Beflimmern) Animal Planet schauen zu können. Zwar ist hier auch nicht alles Gold was glänzt, entbehrt nur weitestgehend reißerischen Aufmachungen und Auspolsterungen.
Das *konsequente* Wegschauen, das muss ich noch üben. Ich war jahrelang viel zu sehr Fernsehjunkie.
Ich mein’, ich habs ja nicht so mit Musikkritik, die scheitert oft direkt an meinem durchaus mainstreamfähigen Geschmack. Dann schon eher mit doppelmoralischer Sprachkitik, das liegt mir schon eher. Manchmal versuche ich mich auch recht halbgar darin,
Aufgenommen: Montag, 4. September 2006